Moskau weist Vorwürfe zurück Giftanschlag auf Ex-Spion: Polizei fordert Militär an
London/Addis Abeba (dpa) - Die Ermittler im Fall des vergifteten russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal haben die Unterstützung des britischen Militärs angefordert. Das teilte Scotland Yard mit.
Die Soldaten sollten mehrere Fahrzeuge und andere Gegenstände aus dem Bereich im Stadtzentrum der englischen Kleinstadt Salisbury entfernen, wo Skripal und seine Tochter Yulia am Wochenende aufgefunden wurden. Die Behörden suchen dort nach Hinweisen auf die Täter und Spuren des Nervengifts, mit dem die beiden attackiert wurden. Das Militär habe die Expertise und Ressourcen, um mit Unvorhersehbarkeiten umzugehen, hieß es in der Mitteilung. Von einer Gesundheitsgefahr für die Öffentlichkeit werde aber weiterhin nicht ausgegangen. Experten der Streitkräfte sollen demnach die Ermittlungen auch weiterhin unterstützen.
Die britische Polizei weitete die intensiven Ermittlungen derweil auch auf das Haus Skripals in Salisbury aus. Medien spekulierten, das könne ein Hinweis darauf sein, dass Skripal bereits dort in Kontakt mit dem Nervengift gekommen sein könnte. Noch ist unklar, wie und wann der Ex-Spion und seine Tochter damit in Kontakt kamen.
Einem Experten zufolge könnte die Analyse des Gifts Hinweise auf seine Herkunft liefern. Das sagte der Geschichtsprofessor und Experte für chemische Kampfstoffe und Waffen, Ulf Schmidt, von der Universität Kent der Deutschen Presse-Agentur am Freitag. Unreinheiten und die Zusammensetzung des Stoffes könnten Hinweise darauf geben, in welcher Umgebung und mit welcher Ausrüstung das Gift hergestellt wurde, so Schmidt. Es gebe eine wachsende Wahrscheinlichkeit, dass hinter dem Attentat ein staatlicher Akteur stecke.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow wies unterdessen Spekulationen, Moskau habe eine Rolle in dem Fall, als „Propaganda“ zurück. Es gebe bislang keine Beweise oder Fakten, sagte Lawrow am Freitag in Äthiopien. Die Spekulationen zielten darauf ab, „Spannungen zu erhöhen“. Wenn es ein ernsthaftes Interesse an einer Zusammenarbeit bei den Ermittlungen gebe, sei Russland bereit dazu. Allerdings solle man nicht mit „unbegründeten Anschuldigungen“ zu den Medien rennen, sagte der Außenminister.
Sergej Skripal und seine Tochter Yulia waren am Wochenende auf einer Parkbank nahe eines Einkaufszentrums in Salisbury mit Vergiftungserscheinungen aufgefunden worden. Sie kämpfen seitdem in einem Krankenhaus um ihr Leben. 19 weitere Menschen wurden nach dem Attentat medizinisch behandelt.
Ein Polizeibeamter, der Skripal und seiner Tochter zu Hilfe geeilt war und zeitweise ebenfalls im Koma lag, ist den Behörden zufolge inzwischen ansprechbar. Er befinde sich aber immer noch in einem ernsten, wenn auch stabilen Zustand. Der Gesundheitszustand Skripals und seiner Tochter sei weiterhin „sehr ernst“.
Der frühere Scotland-Yard-Chef Ian Blair forderte derweil, einen neuen Blick auf weitere mysteriöse Todesfälle mit Russland-Bezug aus der Vergangenheit zu werfen. Das hatte zuvor auch die Labour-Abgeordnete und Vorsitzende des Innenausschusses, Yvette Cooper, im Parlament gefordert. Das Online-Nachrichtenmagazin Buzzfeed hatte im vergangenen Jahr unter Berufung auf Geheimdienstquellen über 14 mysteriöse Todesfälle in Großbritannien mit Russland-Bezug berichtet.
„Ich bin klar der Meinung, dass dieser außergewöhnliche Fall ein guter Anlass ist zu sagen: Lasst uns noch mal einen genauen Blick darauf haben und schauen, ob es ein Muster gibt, wenn Leute beim Joggen tot umfallen und in ihrem Haus in Surrey tot gefunden werden und so weiter“, sagte Blair dem Radiosender BBC 4 am Freitag.
Skripal, ein früherer Oberst des russischen Militärgeheimdienstes GRU, war in Russland als britischer Spion verurteilt und bei einem Austausch 2010 freigelassen worden.
Der Fall erinnert an den Giftmord am Kremlkritiker Alexander Litwinenko im Jahr 2006 und hat inzwischen einen diplomatischen Schlagabtausch zwischen Moskau und London ausgelöst. Die britische Regierung hatte mit einer „angemessenen und robusten“ Reaktion gedroht, sollte sich herausstellen, dass Moskau hinter dem Attentat steckt.