Härtetest für Tsipras
Athen (dpa) - Die griechische Regierung blickt in eine ungewisse Zukunft. Mit Spannung wurde am Abend die Debatte über das neue Hilfsprogramm der internationaler Geldgeber und die damit verbundenen Sparmaßnahmen im Parlament erwartet.
Mit der namentlichen Abstimmung wurde in den frühen Morgenstunden des Freitags gerechnet. Eine Mehrheit galt als sicher, weil die wichtigsten Oppositionsparteien ihre Zustimmung signalisiert hatten. Es wurde aber mit bis zu 40 Abweichlern unter den 162 Abgeordneten des Regierungslagers von Ministerpräsident Alexis Tsipras gerechnet. Deshalb droht der Partei die Spaltung, Neuwahlen wurden nicht ausgeschlossen.
Der Finanzausschuss des griechischen Parlaments gab am frühen Abend bereits seine Zustimmung zu dem Hilfs- und Sparprogramm. Im Zentrum Athens und vor dem Parlamentsgebäude demonstrierten Tausende Menschen gegen die Sparmaßnahmen - die etwa eine Reform des Rentensystems vorsehen.
Sollten weniger als 120 Abgeordnete aus den Reihen der Koalition dafür stimmen, wäre die in der Verfassung definierte Schwelle für den Vertrauensverlust einer Minderheitsregierung erreicht, wie sie Tsipras faktisch anführt. „Dann werden wir gezwungen sein, so schnell wie möglich dieses Thema zu lösen“, sagte Staatsminister Alekos Flambouraris mit Blick auf die dann quasi unausweichlichen Neuwahlen. Ein Datum nannte er allerdings nicht. Die Entscheidung über weitere Schritte liege allein bei Tsipras.
Die Zeit drängt ohnehin. Am kommenden Donnerstag muss Griechenland der Europäischen Zentralbank (EZB) Anleihen und darauf fällige Zinsen über rund 3,4 Milliarden Euro zurückzahlen. Sollte die Rückzahlung ausbleiben, müsste die EZB dem Land eigentlich den Geldhahn zudrehen, was den Zusammenbruch der Wirtschaft zur Folge haben könnte.
Nach dem griechischen Parlament muss die Eurogruppe an diesem Freitag über das Hilfsprogramm entscheiden. In Brüssel wurden vor allem wegen der deutschen Nachbesserungsforderungen lange und schwierige Verhandlungen erwartet. Das Finanzministerium von Wolfgang Schäuble (CDU) pocht auf eine Nachbesserung der Vereinbarung, die die griechische Regierung zu Wochenbeginn mit Experten der Geldgeber erzielt hatte.
Die EU-Kommission arbeitet im Auftrag der Mitgliedstaaten weiter an einem Plan B für neue Hilfen. Nach Angaben einer Sprecherin wurden Dokumente erstellt und an die Hauptstädte übermittelt, mit deren Hilfe eine weitere Brückenfinanzierung gewährleistet werden könnte. Diese würde notwendig werden, wenn die Finanzminister der Euro-Staaten noch nicht ihre Zustimmung für das große Hilfsprogramm geben. Die EU-Kommission betonte aber, dass für sie eine Verabschiedung an diesem Freitag die bevorzugte Option sei.
Experten der Geldgeber scheinen sich indes nicht sicher zu sein, ob Griechenland mit dem Programm endgültig der Gefahr einer Staatspleite entkommt. In einer für die Verhandlungen am Freitag erstellten Analyse ist mit Blick auf die notwendige Schuldentragfähigkeit von „ernsten Bedenken“ die Rede. Das liege vor allem am hohen Schuldenstand im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung (BIP) und dem zukünftigen Bruttofinanzierungsbedarf, heißt es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in dem als vertraulich eingestuften Dokument.
Aber laut der Schuldentragfähigkeitsanalyse könnte das neue Hilfsprogramm dennoch beschlossen werden. „Eine angemessene Kombination aus Laufzeitverlängerungen und tilgungsfreien Zeiten für Kapital und Zinsen würde es möglich machen, Griechenlands Schulden in Bezug auf den Bruttofinanzierungsbedarf auf ein tragfähiges Niveau zu bringen - ohne klassischen „Haircut“ (Schuldenschnitt)“, heißt es in dem Papier für die Sondersitzung der Finanzminister.
Aus einem anderen Dokument zur Sitzung geht nach dpa-Informationen hervor, dass Griechenland über die geplante Programmlaufzeit von August 2015 bis August 2018 vermutlich 86 Milliarden Euro benötigen wird. Der Bedarf liegt damit am obersten Ende der Spanne, die beim Euro-Gipfel im Juli genannt worden war (82 - 86 Mrd Euro).
Stimmen die Finanzminister der Eurozone dem Hilfsprogramm zu, müssen noch mehrere Parlamente in anderen Euoländern darüber abstimmen, unter anderem der deutsche Bundestag. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) stimmte die Abgeordneten bereits auf eine Sondersitzung des Parlaments in der kommenden Woche ein.