In Ägypten regiert das Chaos
Das Land kommt nicht zur Ruhe. Mitglieder des ehemaligen Sicherheitsapparates von Mubarak sollen die Unruhen schüren.
Kairo. „Verschwinde!“, riefen die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz vor einem Jahr ihrem Langzeitpräsidenten Husni Mubarak zu. Linke Intellektuelle, Christen, Anarchisten, Islamisten, Arbeiter und die Fans des berühmten Kairoer Fußballvereins Al-Ahli standen damals Seite an Seite im Kampf gegen den gemeinsamen Feind. Heute kämpft in Ägypten jeder gegen jeden — mit Worten, Steinen, Brandbomben oder scharfer Munition. Gelegentlich werden auch Ausländer Opfer des Chaos, das um sich greift.
Die Tragödie im Fußballstadion von Port Said ist nur einer von vielen Gewaltausbrüchen, die das Land seit dem Abgang des „Pharao“ erschüttert haben. Beteiligt sind laut unabhängigen ägyptischen Beobachtern korrupte Elemente aus dem Sicherheitsapparat, der noch aus der Mubarak-Ära stammt, sowie Randalierer, die Spaß an Gewalt haben. Gelegentlich mischen auch frustrierte „Revolutionäre“ mit, die sich um die Früchte ihres Aktivismus betrogen fühlen.
Vor allem die jungen Aktivisten haben den Eindruck, sie seien nur noch von Feinden umgeben. Da ist der Militärrat, der seine Privilegien vor dem Zugriff ziviler Kontrolle bewahren will. Da sind die Beamten des Innenministeriums, das weitgehend unangetastet blieb. Und jetzt kommen auch noch die Muslimbrüder hinzu, die bei ihrem Marsch durch die Institutionen nicht von den Dauerprotesten der Jung-Revolutionäre gestört werden wollen.
Auch das zum Großteil liberal denkende Bildungsbürgertum ist tief enttäuscht über die unvollendete Revolution. Die einzigen Verbündeten, die den jungen Revolutionsaktivisten jetzt noch bleiben, sind eine kleine Gruppe von älteren Linksintellektuellen und der Fanclub von Al-Ahli, der in den vergangenen Monaten bei fast jeder Auseinandersetzung mit der Polizei mit dabei war.
Die Verschwörungstheorien, wonach die Gewalt im Stadion kein willkürlicher Akt von Hooligans war, sondern eine gezielte Aktion gegen die politisierten Al-Ahli-Fans, sind deshalb nicht ganz von der Hand zu weisen.
Mit der wildesten Theorie zu der Tragödie wartete die saudische Religionspolizei auf. Sie verbreitete über den Kurznachrichtendienst Twitter folgende Nachricht: „Was in Port Said passierte nach dem Fußballspiel, ist eine Strafe von Gott für die Spieler, weil sie ihre Blöße nicht bedeckt haben (kurze Hosen trugen).“