Irakische Armee und Isis im Vielfrontenkrieg

Bagdad (dpa) - Nach dem brutalen Vormarsch der Terrorgruppe Isis im Irak hat die Armee nach eigenen Angaben am Wochenende eine erfolgreiche Gegenoffensive gestartet. Die Dschihadisten meldeten hingegen einen Angriff auf die 25 Kilometer nördlich von Bagdad gelegene Armeebasis Tadschi.

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Tadschi gehört zu den größten Militärstützpunkten des Iraks. In den vergangenen Tagen hatten sich dort Tausende Freiwillige gemeldet, um gegen die Isis zu kämpfen.

Bei heftigen Gefechten kamen mehr als 30 Menschen ums Leben, darunter mindestens zehn Zivilisten. Weitere zwölf Menschen starben bei einem Selbstmordanschlag in Bagdad. Experten warnten vor einem Kollaps des multiethnischen Staates Irak - mit Erschütterungen weit über die Krisenregion Nahost hinaus.

Die Isis, die ausschließlich Muslime sunnitischer Glaubensrichtung rekrutiert, setzte sich vor allem in der westirakischen Provinz Anbar und im Norden zwischen Mossul und Bagdad fest. Medien berichteten, die Armee bereite zusammen mit Tausenden Freiwilligen die Rückeroberung der nördlichen Millionenmetropole Mossul und der mittelirakischen Stadt Tikrit vor.

Anfang der Woche hatten Isis-Kämpfer von Mossul, der zweitgrößten Stadt des Iraks, aus einen Vorstoß Richtung Bagdad unternommen. Inzwischen konnten sie von Soldaten, Freiwilligen und kurdischen Peschmerga-Truppen gebietsweise zurückgeschlagen werden.

Im Internet brüsteten sich die Isis-Extremisten mit Bildern von Auspeitschungen, Erschießungen und Massengräbern. Bereits am Donnerstag hatten sie behauptet, 1700 irakische Soldaten getötet zu haben.

Isis habe auf die klassische Guerillataktik im Irak verzichtet, berichtete die „New York Times“. Stattdessen hätten die Dschihadisten nach langer Vorbereitung mit klassischen militärischen Mitteln eine Schneise ins Land getrieben. Zeitweilig beherrschte Isis die drei großen Autobahnen nördlich von Bagdad und trennte die Kurdenregion vom Rest des Landes.

Als Reaktion auf die Eskalation entsandten die USA Kriegsschiffe in den Persischen Golf. Der Flugzeugträger „USS George H.W. Bush“ wurde von einem Lenkwaffenkreuzer und einem Zerstörer begleitet. Damit solle Präsident Barack Obama zusätzliche Flexibilität gegeben werden, sollte ein Militäreinsatz nötig werden, um US-Interessen im Irak zu schützen, erklärte das Verteidigungsministerium. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wolle am Montag mit der türkischen Regierung in Ankara die Bedrohungslage besprechen.

Der iranische Präsident Hassan Ruhani zeigte sich offen für eine Zusammenarbeit mit den USA im Kampf gegen die Isis. Allerdings müsse die Initiative von den Amerikanern ausgehen.

US-Außenminister John Kerry betonte in einem Telefonat mit seinem irakischen Kollegen Hoschiar Sebari, Hilfe durch die USA würde nichts bringen, solange die verschiedenen Gruppen im Irak nicht ihre Differenzen überwänden und zur nationalen Einheit fänden.

Nach dem Irakkrieg (2003-2011) hatte Obama eine Rückkehr von US-Kampftruppen in das Land ausgeschlossen. Andere militärische Mittel hielt er sich aber offen. Die oppositionellen Republikaner riefen Obama zu einem entschiedeneren Vorgehen auf. John McCain, einflussreicher Senator aus Arizona, drängte Obama zu sofortigen Luftangriffen, um den Vormarsch der Dschihadisten zu stoppen.

Die sunnitische Isis kämpft gegen Schiiten, die sie als „Abweichler“ von der wahren Lehre des Islams ansieht. Kritiker werfen dem schiitischen irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki vor, über Jahre die sunnitische Minderheit im Land diskriminiert und damit zu einer Spaltung des Iraks beigetragen zu haben. Die Sunniten waren früher die Machtbasis des Diktators Saddam Hussein, der wiederum Schiiten brutal unterdrückte.

Ziel der Organisation Islamischer Staat im Irak und in Syrien (Isis) ist ein sunnitischer Gottesstaat vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf. Im Irak wollen die Extremisten Bagdad umzingeln und in die mehrheitlich schiitische Stadt vordringen. Nach UN-Angaben wurden bereits in den ersten Tagen bei Kämpfen mehrere Hundert Zivilisten getötet und etwa 1000 verletzt. Hunderttausende sind auf der Flucht.

Die Krise im Irak wird nach Meinung des renommierten Londoner Experten Fawaz Gerges zwangsläufig zu einer Machtaufteilung auf Schiiten, Sunniten und Kurden führen. „Ganz egal, was in den nächsten Tagen und Wochen passiert - wir werden eine Fragmentierung der Macht erleben“, sagte Gerges der Nachrichtenagentur dpa. Die Chance, dass der Irak als Staat erhalten werde, schätzt der im Libanon geborene Politikprofessor der London School of Economics (LSE) auf 50:50.