Krim-Krise eint die Europäer

Die notorisch uneinige EU probt den Schulterschluss — auch wenn die Interessen der Mitglieder bisweilen weit auseinanderliegen.

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Brüssel. Dieser EU-Gipfel war anders, jedenfalls ganz anders als geplant. Eigentlich sollte es um die Wirtschaftsentwicklung in der Union gehen, um Energie und Klima, um weitere Aufräumarbeiten nach der großen Eurokrise der vergangenen Jahre. Klar, dass der schwere Konflikt mit Russland nach der Annexion der Krim das alles über den Haufen geworfen hat. Aber anders war diesmal auch die Gemütslage der Teilnehmer. Statt Streit ums Kleingedruckte, wie so oft, herrschte ernste Einmütigkeit.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beschwor die Solidarität der 28 Mitglieder. Dabei sind deren Interessen gegenüber Russland und dessen Präsidenten Wladimir Putin keineswegs einheitlich: Polen und die baltischen Staaten fürchten aus historischen Gründen russische Machtansprüche besonders intensiv, die Finnen mahnen zur Zurückhaltung, Zypern sorgt sich um das russische Geld in seinen Banken, London um seinen Finanzplatz. Und die Deutschen befinden sich in einer Rolle mittendrin, mit komplizierten und widersprüchlichen Gefühlen gegenüber Russland. Für die deutsche Industrie geht es um Milliardengeschäfte.

Aber plötzlich steht Europa anders da als in der Schuldenkrise, nämlich ziemlich einig. Merkel beschwor den Dreiklang des Krisenmanagements: Gespräche mit Moskau suchen, Sanktionen verhängen und weitere androhen, Hilfe für die Ukraine, politisch und vor allem finanziell. Es gab keinen Widerspruch.

So schweißt die Krim-Krise die notorisch uneinigen EU-Mitglieder zusammen. Immer wieder war von einer historischen Herausforderung die Rede, Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) bemühte sogar die Begriffe Krieg und Frieden. „Wir sind alle etwas ernster geworden.“ Krieg sei lange kein Thema mehr gewesen. Aber „Schlafwandler“ wie 1914 dürften die europäischen Staaten nicht sein, um nicht wieder in einen Krieg zu stürzen.

Als wichtiges Signal für eine erhoffte Deeskalation gilt die Entsendung von OSZE-Beobachtern in die Ukraine. Nach längerem Widerstand stimmte auch Russland diesem seit Tagen von den USA, der Europäischen Union und Deutschland geforderten Schritt zu. Die Beobachtermission mit mindestens 100 Experten soll unparteiisch Informationen über die Sicherheitslage und den Schutz von Minderheiten in der Ukraine sammeln. Die Krim gehört allerdings nicht zum Einsatzgebiet.

Unerwartet ist die Krise zu einer Chance für die EU geworden, mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik endlich voranzukommen. Die klare Botschaft von Brüssel an Moskau: Wirtschaftssanktionen werden kommen, und sie werden schmerzhaft sein, wenn Putin die Krise weiter anheizt.

In einem bemerkenswert offensiven Auftritt stellte der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk — da war der erste Teil des Assoziierungsabkommens gerade unterschrieben — unmissverständliche Forderungen an Europa. Energie dürfe nicht die neue Atomwaffe werden, sagte er und meinte damit: Die Ukraine erwarte Hilfe vom Westen, auch die Lieferung von Öl und Gas zählt dazu.