Kritik am EU-Flüchtlingsdeal mit der Türkei

Straßburg (dpa) - Die EU-Spitze hat das Abkommen mit Ankara über die Rückführung von Flüchtlingen gegen scharfe Kritik aus dem Europaparlament verteidigt. „Es ist eine gefährliche Illusion zu glauben, dass es eine ideale und hundertprozentig effektive Lösung gibt“, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk.

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EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, das Abkommen sei wegen mangelnder Solidarität innerhalb der EU nötig gewesen.

Juncker betonte ebenso wie mehrere Abgeordnete die Bedeutung der Grundrechte und - auch vor dem Hintergrund des Vorgehens von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gegen den deutschen Satiriker Jan Böhmermann - der Pressefreiheit.

„Natürlich gibt es Themen, mehr als nur eines, bei denen die Türkei und die EU höchst unterschiedlicher Meinung sind. So sehr wir die Zusammenarbeit für die Flüchtlinge schätzen, so unverändert ist unsere Haltung in anderen Fragen, wenn es etwa um Grundwerte wie dasjenige der Pressefreiheit geht“, sagte Juncker. Er könne nicht nachvollziehen, dass der deutsche Botschafter in der Türkei wegen eines „unmöglichen satirischen Liedes“ einbestellt werde: „Das bringt die Türkei nicht näher an uns ran sondern entfernt uns voneinander.“

Der Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Guy Verhofstadt (Belgien), sagte über Erdogan: „Wir haben ihm schon die Schlüssel zu Europas Toren gegeben, nun laufen wir Gefahr, ihn auch unsere Redaktionen und Medien kontrollieren zu lassen.“ Was Böhmermann produziert habe, sei „nicht meine Art von Humor“: „Aber ja, in einer freien Gesellschaft muss solch ein satirisches Gedicht möglich sein. Das ist der Preis, den wir gerne für unsere Freiheit zahlen.“

Erdogan riskiere mit seiner Politik den möglichen „Neustart“ in den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei, sagte der Vorsitzende des christdemokratischen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU). Erdogan müsse Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und auch die Minderheitenrechte respektieren. „Und dies gilt nicht nur für die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei, sondern auch für die Meinungsfreiheit und auch die künstlerische Freiheit auf diesem Kontinent.“

„Die Freiheit der Kunst und der Presse wird in Deutschland nicht von Erdogan entschieden werden“, betonte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms. Zum Vorgehen in der Flüchtlingskrise äußerten sich Grüne und Linke kritisch, Tusk verteidigte den EU-Türkei-Pakt. „Ich glaube, dass man derzeit überhaupt nicht von Rechtsstaatlichkeit in den Asylverfahren in Griechenland reden kann“, sagte Harms. Sie habe den Eindruck, dass die jetzigen Zustände „toleriert werden als Mittel zur Abschreckung von Menschen, die sich sonst auf den Weg nach Europa machen würden“.

Für die Linke kritisierte deren Fraktionsvorsitzende Gabi Zimmer ebenfalls, Griechenland werde Asylverfahren durchsetzen, „die von den allerniedrigsten Standards ausgehen“. „Uns sind all die Aufgaben und Schwierigkeiten bei der Lösung dieser Krise bewusst“, sagte Tusk. „Bequeme und leichte Lösungen sind in der Politik schwer zu finden.“ Die EU habe mit dem Türkei-Deal „politische Katastrophen“ vermieden.

Die Vereinbarung mit der Türkei sieht vor, dass illegal in Griechenland eingereiste Migranten in die Türkei zurückgeführt werden. Für jeden abgeschobenen syrischen Bürgerkriegsflüchtling nimmt die EU einen syrischen Flüchtling aus der Türkei auf. Die EU hat im Gegenzug der Türkei eine Beschleunigung der Beitrittsverhandlungen und die visafreie Einreise in die Europäische Union in Aussicht gestellt, sofern Ankara die entsprechenden Voraussetzungen dafür erfüllt.

Weber sagte, die EU liege nicht vor Erdogan auf den Knien: „Bei der Visafrage wird es keinen Flüchtlingsrabatt geben. Entweder Ankara setzt alles um - und wenn nicht, dann wird es keinen Rabatt geben.“ Hingegen sagte der Fraktionschef der EU-feindlichen EFDD-Fraktion, Nigel Farage (Großbritannien): „Wir stellen fest, dass die Bosse der EU sich hier flachlegen vor Herrn Erdogan, der über alle hinweg trampelt.“