Reportage Mit Ratten auf der Suche nach Landminen in den Äckern Kambodschas
Siem Reap · 2019 konnte die Organisation Apopo auf diesem Weg 240 Hektar für minenfrei erklären.
Herrn Douks Hände hat vor Jahren eine Mine weggesprengt, vernarbte Stümpfe sind geblieben. Jetzt verkauft der Kambodschaner damit aus seinem Bauchladen heraus schlecht gefälschte Bücher über die junge kambodschanische Geschichte von Krieg und Folter. Seine Kunden sind die Touristen, die die Tempelanlagen von Angkor Wat besuchen wollen. Der Bauer und Familienvater Den Deum (31) verlor sein rechtes Auge, als er beim Pflügen seines Feldes in eine alte Mine fasste.
Weltweit erzählen Minenopfer ihre fast gleichen Geschichten. Einmal die Antipersonenmine angefasst oder auf sie getreten, und das bis dahin glückliche Leben nimmt eine grauenvolle Wendung. In Kambodscha passiert das immer noch täglich. Besonders häufig dort, wo Bauern auf ihren Feldern arbeiten müssen oder Kinder im Staub spielen. Man schätzt, dass von sechs Millionen Sprengkörpern im einst umkämpften Land immer noch 20 Prozent im Boden liegen. Eine Kriegsgeißel vergangener Zeiten, die das ganze Land in Atem hält. Bauern verlieren ihre Arme, Kinder ihr Augenlicht, andere sterben. Und Touristen werden in den berühmten Tempelanlagen von Angkor Wat gewarnt, bloß nicht die markierten Wege zu verlassen.
Der Kampf gegen den heimtückischen Gegner habe nie aufgehört, berichtet Meas Sambat, Manager im Apopo-Minencenter in Siem Reap. Von dort schickt man professionelle Minensuch-Teams los. Damit Sprengkörper sicher und kostensparend gefunden werden, hat die Organisation außerdem pfiffige Helfer gefunden: Ratten.
Ratten sind in Ausbildung und Unterhalt deutlich günstiger als Minenhunde und bringen zudem drei wertvolle Eigenschaften für den Job mit, der für sie weitaus ungefährlicher ist als für Menschen. Die größere, afrikanische Ratte, die für diese Arbeit genommen wird, wiegt mit etwa 1,5 Kilogramm weniger, als eine Landmine an Druck braucht, um auszulösen. Auch können Ratten erstaunlich gut den leicht süßlichen TNT-Geruch erschnüffeln und sie sind zudem käuflich. Die acht derzeit im Einsatz schnüffelnden Apopo-Ratten machen den Job für billige Bananenstücke oder wenige Erdnusskerne. Übersetzt heißt das: Nur wer die Mine erschnüffelt, bekommt ein Leckerchen.
Auf Feldern mit Gemüse und Reis nur schlecht einsetzbar
Letzteres kann übrigens auch von Nachteil sein, weiß Meas Sambat. So können die Herorats, wie sie in Kambodscha verehrend genannt werden, auf Feldern, auf denen Gemüse oder Reis wächst, schlecht eingesetzt werden. „Sie würden sich vollfressen und ihre Arbeit vernachlässigen“, sagt der Kambodschaner.
Doch einmal durch den persönlichen Trainer und einen weiteren Betreuer richtig eingesetzt, bewirken die vierbeinigen Helden wahre Wunder. Ausgebildete Ratten bearbeiten 30 Quadratmeter in einer halben Stunde. Präzise stecken dabei Helfer ein Rechteck ab und führen die Ratten an der Leine über den Boden. So fanden die Nager im vergangenen Jahr auf 23 größeren Feldern in der Region 371 Landminen und noch einmal so viele Sprengfallen. Fast 2,4 Millionen Quadratmeter (240 Hektar) konnten 2019 für minenfrei erklärt werden.
Manche Herorats waren bei der Arbeit besonders erfolgreich. Deshalb hängt im Center in Siem Reap auch die Hitliste für verdiente Mitarbeiter. Saibaba, Magawa und Kebira, die vor Jahren aus Tansania für ihren Zweck nach Kambodscha geholt wurden, sind Ratten des Jahres.
Doch Ratte Busco stört das alles nicht mehr wirklich. Ratten werden nach einer einjährigen Schulung im zweiten Jahr eingesetzt und arbeiten dann fünf Jahre. Busco geht in wenigen Monaten in den Ruhestand und führt kurz vor Berufsende seine Fähigkeiten im Apopo-Center – oft übrigens eher widerwillig – nur noch Touristen vor.