„Das heißt Diktatur“ Parlament: Staatsstreich in Venezuela
Caracas (dpa) - In Venezuela ist das von der Opposition dominierte Parlament entmachtet worden. Der Oberste Gerichtshof entschied, der Nationalversammlung alle parlamentarischen Kompetenzen zu entziehen und selbst zu übernehmen.
Damit wird die Position von Staatspräsident Nicolás Maduros im Land mit den größten Ölreserven der Welt deutlich gestärkt und die Gewaltenteilung de facto aufgehoben.
Das Gericht warf dem Parlament Respektlosigkeit gegenüber der Verfassung und unzureichende Zusammenarbeit mit den anderen Staatsgewalten vor. Das Präsidium des Parlaments nannte die Entmachtung einen Staatsstreich.
Seit 1999 regieren die Sozialisten, seit dem deutlichen Sieg der Opposition im Dezember 2015 bei der Parlamentswahl gibt es einen Dauerkonflikt zwischen Exekutive und Legislative. Maduro baute das Regieren mit Notstandsdekreten Stück für Stück weiter aus. Die Opposition aus sozialdemokratischen, konservativen und liberalen Parteien kündigten Massenproteste an.
„Das heißt nichts anderes als Staatsstreich und Diktatur in Venezuela - heute zählt die Verfassung nichts mehr“, sagte der Präsident der Nationalversammlung, Julio Borges, am Donnerstag in Caracas. Maduro habe selbst die Anweisung zu diesem skandalösen Urteil gegeben. „Jetzt hat Maduro alle Macht.“
Versuche, ein Referendum zur Absetzung Maduros durchsetzen, wurden ebenfalls von Gerichten gestoppt. Mit dem Urteil kann Maduro auf der Grundlage eines Ausnahmezustandes im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichts „durchregieren“. Zuvor waren von dem Gericht bereits die Immunität der Abgeordneten aufgehoben und Maduro ermächtigt worden, die „demokratische Stabilität“ wiederherzustellen. Mit der Aufhebung der Immunität wird die Strafverfolgung der Politiker erleichtert.
Verschärft hatte sich der Konflikt, als 20 Mitgliedsstaaten der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) - darunter die USA, Mexiko, Brasilien und Argentinien - Venezuela mahnten, die Gewaltenteilung zu achten und politische Gefangene freizulassen. Das Parlament in Caracas hatte zuvor die OAS aufgefordert, eine Verletzung demokratischer Rechte durch Maduro festzustellen, was den Konflikt angeheizt hatte. In Venezuela verschlimmert sich nach Jahren der Misswirtschaft fast täglich die dramatische Versorgungskrise.
Als Folge der derzeit höchsten Inflation der Welt können Menschen Lebensmittel und Medikamente kaum noch bezahlen. Das Land ist stark von Importen abhängig, kann aber kaum noch die Produkte in Dollar oder Euro bezahlen. Hintergrund ist, dass die heimische Währung, der Bolívar, immer mehr entwertet wird und sich damit der Wechselkurs zum Dollar oder Euro immer weiter verschlechtert. In Krankenhäusern gibt es kaum noch Medizin. Die Kindersterblichkeit ist stark gestiegen. Auch die Gewalt nimmt zu. Zehntausende Menschen sind geflüchtet.
US-Präsident Donald Trump hatte sich Mitte Februar in Washington demonstrativ mit der Ehefrau des Oppositionsführers Leopoldo López, Lilian Tintori, getroffen. López verbüßt eine fast 14-Jährige Haftstrafe, die unmittelbar nach dem Treffen Trumps mit Tintori vom Obersten Gerichtshof in Caracas noch einmal bestätigt wurde. López wird eine Anstachelung zur Gewalt bei Protesten vorgeworfen, die mehrere Monate andauerten und 43 Tote forderten.
Der Sieg der Opposition 2015 schien das Ende des 1999 von Hugo Chávez ausgerufenen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ einzuleiten. Doch Maduro, Nachfolger des 2013 verstorbenen Chávez, schränkte - mit Hilfe von Urteilen der Justiz - die Parlamentsrechte ein. Neben zunehmender Repression politischer Gegner wurden zuletzt auch die Daumenschrauben für die Presse angezogen, zudem wurde mehreren ausländischen Journalisten die Einreise verweigert. Ferner wurde die Abschaltung des US-Fernsehsenders CNN in Venezuela verfügt.