Prägende politische Figur Italiens: Giulio Andreotti ist tot

Rom (dpa) - Giulio Andreotti, siebenfacher Regierungschef und prägende politische Gestalt im Italien der Nachkriegszeit, ist tot. Er starb am Montag im Alter von 94 Jahren in seinem Haus in Rom, teilte seine Familie mit.

Andreotti war in den vergangenen Jahren schon mehrfach sehr krank gewesen, sein Gesundheitszustand hatte sich in den vergangenen Tagen enorm verschlechtert. Er soll am Dienstag in Rom im privaten Kreis beigesetzt werden, ein Staatsbegräbnis gibt es nicht. Die Welt der Politik würdigte Andreotti als zentrale Figur in den Jahrzehnten der Nachkriegszeit und des europäischen Aufbaus. Er war jedoch wegen angeblicher Nähe zur Mafia in Italien umstritten.

Ein halbes Jahrhundert lang habe Andreotti eine große Rolle in der Politik Italiens und beim Aufbau Europas gespielt, hob Staatschef Giorgio Napolitano hervor. Regierungschef Enrico Letta würdigte den katholischen Politiker als erstrangigen Protagonisten der italienischen Demokratie. Bei allen Sportveranstaltungen in Italien in dieser Woche soll es eine Schweigeminute für den Christdemokraten Andreotti geben. Auch das Abgeordnetenhaus in Rom gedachte seiner.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) nannte Andreotti einen großen Politiker Italiens und verlässlichen Partner Deutschlands. Italien habe ein Stück Geschichte verloren, twitterte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD). Der umstrittene und brillante Andreotti habe sein Land in der EU gestärkt. „Andreotti war die Politik: Er hat das Gute und das Böse vereint. Eine außergewöhnliche Persönlichkeit“, sagte Pier Ferdinando Casini, der Chef der Zentrumsunion.

Der Christdemokrat Andreotti war Minister in 33 Regierungen und vier Jahrzehnte lang Dreh- und Angelpunkt der italienischen Politik. Kaum jemand prägte die Politik des Landes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so sehr wie er. „Er war ganz sicher ein Anführer, wenn auch sehr umstritten in vielen Momenten seiner langen Karriere und für sein Machtverständnis“, so Ex-Regierungschef Massimo D'Alema.

Der gebürtige Römer agierte insgesamt mehr als 60 Jahre lang auf der politischen Bühne Italiens und überstand währenddessen auch mehrere Prozesse wegen Mord- und Mafiaverstrickungen. Seine Kritiker warfen ihm Skrupellosigkeit, Machthunger und Nähe zur Mafia vor. In einem Prozess wurde er in erster Instanz zu 24 Jahren Haft verurteilt, später aber freigesprochen.

Seine Karriere begann Andreotti nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. 1947 wurde er ins Parlament gewählt, 1954 war er erstmals Minister. Zunächst wurde er Innenminister, später Finanz-, Verteidigungs- und Außenminister. 1972 führte Andreotti erstmals eine Regierung. Auch in den letzten Jahren vor seinem Tod mischte der Senator auf Lebenszeit noch in der Politik des Landes mit.