Geschwächt von Krisen Sorge um Europa in Brüssel und Berlin
Brüssel/Berlin (dpa) - Die Stimmung ist nicht gut vor diesem Sonntag, weder in Brüssel noch in Berlin. Erst das Brexit-Votum, dann die Trump-Wahl, und nun könnten neue Probleme entstehen.
Wenn in Österreich der Rechtspopulist Norbert Hofer die Präsidenten-Wahl gewinnt und in Italien Regierungschef Matteo Renzi mit seinem Verfassungsreferendum scheitert, wird die Angst um die Europäische Union noch weiter um sich greifen. Aber auch Kanzlerin Angela Merkel muss sich Sorgen machen - um die Zukunft Europas und um ihre eigene.
Noch vor ein paar Jahren hätte Brüssel diesem Wahlsonntag wohl einigermaßen gelassen entgegengesehen. Doch die EU ist geschwächt von Krisen und Breitseiten, von Selbstzweifeln und Populismus - und seit der Wahl des Milliardärs Donald Trump in den USA hält man fast alles für denkbar, sogar ein Auseinanderbrechen der Union.
EU-Spitzenpolitiker halten bewusst Abstand zu den Untergangs-Szenarien. So erkennt der CSU-Europapolitiker Manfred Weber zwar die Bedeutung der Entscheidungen in Österreich und Italien an, weil die Bürger ihre Wünsche anzeigten. „Deshalb muss Europa zuhören, muss die Sorgen auch ernst nehmen, die da sind“, sagt der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei. „Andererseits ist auch klar, dass wir europaweit viel Unterstützung für die Grundidee der europäischen Einheit haben.“
Auch der ehemalige Diplomat und Europaforscher Stefan Lehne sieht die EU noch nicht vor dem Kollaps. „Am 4. Dezember passiert weder in Italien noch in Österreich etwas, was an und für sich schwerwiegende Auswirkungen haben wird“, sagt Lehne, der am Institut Carnegie Europe forscht. Die Wahl des österreichischen Bundespräsidenten ist eher symbolisch, und Hofer stellt die EU zunächst nicht grundsätzlich in Frage. Für Italien wiederum wäre es beileibe nicht die erste Regierungskrise, wenn Renzi wie angekündigt bei einer Niederlage zurücktritt.
Doch könnten Erfolge für die rechtspopulistische FPÖ in Österreich und für die EU-kritische Fünf-Sterne-Bewegung in Italien Signale setzen - für mögliche Regierungswechsel in beiden Ländern und für das ganze Wahljahr 2017 in Europa.
In den Niederlanden steht der EU-Kritiker Geert Wilders für die Wahl im März in den Startlöchern, in Frankreich hofft die Rechtspopulistin Marine Le Pen im Mai auf Erfolg. „Das gefährlichste ist die französische Präsidentschaftswahl“, sagt Lehne. Würde Le Pen wirklich gewählt und triebe sie wirklich den Austritt aus dem Euro oder der EU voran, das „wäre der Todesstoß für die Europäische Union“.
Und in Deutschland? Gut neun Monate vor der Bundestagswahl hätte vor allem die deutsche AfD Grund zum Jubel, wenn Hofer in Wien zum Präsidenten aufsteigt. Schneidet die AfD - beflügelt vom europaweiten Trend nach rechts - im Herbst gut ab, könnte die Regierungsbildung in Berlin schwierig werden.
Hofer wiederum scheint nicht weit entfernt von Merkels Widersachern bei der CSU, wenn er sagt, die Kanzlerin habe Europa in der Flüchtlingspolitik „erheblichen Schaden zugefügt“. Noch ist der Bruch zwischen der Kanzlerin und CSU-Chef Horst Seehofer über die Flüchtlingsfrage nicht wirklich gekittet.
Dramatischer dürften die Folgen des Referendums in Italien werden. Bei einer Niederlage Renzis und dessen Rücktritt sind heftige Reaktionen der Finanzmärkte nicht ausgeschlossen. Die massive Verschuldung des Landes könnte zu einer neuen Belastung der Eurozone werden. Merkels Hoffnung auf Stabilität im Partnerland Italien wäre mal wieder dahin; nach dem Austritt der Briten wäre sie umso mehr auf einen starken Verbündeten angewiesen.
Als kontraproduktiv mag sich dabei erweisen, dass der in Italien ziemlich unbeliebte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Renzi noch am Dienstag demonstrative Unterstützung zuteil werden ließ. „Ich würde für ihn stimmen“, sagte er. Wahlkampfhilfe aus Deutschland - in Italien kommt das nicht besonders gut an. Immer noch schwächelt die Wirtschaft dort, vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit verstärkt die depressive Stimmung.
Für viele Italiener gibt es einen Grund dafür: die deutsche Spar- und Anti-Schulden-Politik. Immer wieder plädierte Renzi für mehr Wachstum und weniger Sparsamkeit in Europa. Merkel gestand bestenfalls die Flexibilität der EU-Regeln zu. Dass am Ende die schwache Wirtschaft Italiens auch Grund für eine Niederlage Renzis am Sonntag sein könnte, muss Merkel zu denken geben.