Syrien-Friedensgespräche: Opposition droht mit Rückzug
Genf (dpa) - Nach neuen Schreckensmeldungen aus Syrien drohen die Regimegegner mit einem Rückzug von den Friedensgesprächen, sollte sich die humanitäre Lage nicht verbessern.
Die Opposition sei nach Genf gekommen, um mit UN-Sondervermittler Staffan de Mistura darüber als erstes zu reden, sagte Oppositionssprecher Salem Muslit.
„Wenn das geschieht, werden wir die Verhandlungen beginnen“, erklärte er. Ansonsten gebe es keinen Rechtfertigung, in Genf zu bleiben. De Mistura traf die Opposition zu einem ersten Gespräch.
Der Leiter der Regierungsdelegation, Baschar Dschaafari, warf der Opposition hingegen vor, sie habe mit ihrem Verhalten den Beginn der Gespräche um mehrere Tage verzögert. Das sei ein Beleg für ihre fehlende Ernsthaftigkeit. Die Regierung wolle ein Ende des Blutvergießens. „Priorität der Priorität“ habe für Damaskus der Kampf gegen den Terrorismus. Dschaafari beschuldigte Staaten wie die Türkei und Saudi-Arabien, diesen „als Waffe“ zu benutzen.
Vor allem Meldungen aus der vom Regime belagerten Stadt Madaja setzten die Opposition unter Druck. Trotz der vor knapp drei Wochen gelieferten Nothilfe für Tausende Hungernde seien dort seit Mitte Januar 18 Menschen wegen Mangelernährung und schlechter medizinischer Versorgung gestorben, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Rund 1600 Menschen flohen innerhalb von zwei Tagen vor Kämpfen aus dem Nordwesten Syriens in die Türkei.
Auch in der Hauptstadt ging das Blutvergießen weiter: Bei einem Doppelanschlag der Terrormiliz IS im Süden von Damaskus starben mindestens 58 Menschen. Ein Selbstmordattentäter hatte zunächst ein mit Sprengstoff beladenes Auto an einem Kontrollpunkt im Schiitenbezirk Sajeda Sainab zur Explosion gebracht, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte weiter berichtete. Als dann Menschen zur Unglücksstelle geeilt seien, habe sich ein weiterer Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt.
De Mistura hatte die Friedensgespräche am Freitag zunächst ohne Opposition begonnen und sich mit der Regierung getroffen. Das in Riad ansässige Hohe Verhandlungskomitee der Regimegegner entschied sich nach tagelangen Diskussionen erst danach zur Reise nach Genf. In dem Gremium sind die wichtigsten Oppositionsgruppen vertreten.
Die Regimegegner fordern vor Verhandlungen mit dem Regime ein Ende der Blockaden durch die Armee, Hilfslieferungen für Notleidende, ein Ende von Angriffen auf Zivilisten sowie die Freilassung von Gefangenen, insbesondere von Frauen und Kindern. Sie verweisen auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrates aus dem vergangenen Monat.
„Wenn nur ein Lastwagen mit Hilfslieferungen kommt, würde das die Verhandlungen einfacher machen“, sagte Muslit der Deutschen Presse-Agentur. „Damit würde das Regime beweisen, dass es guten Willens ist. Wenn es einen Schritt macht, machen wir zehn.“
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier forderte Fortschritte insbesondere beim Zugang zu belagerten Gebieten und der Freilassung von Gefangenen. Steinmeier habe in einem Telefonat mit de Mistura betont, dass Angriffe auf die Zivilbevölkerung durch das Regime die größte Belastung für den Prozess seien, erklärte das Auswärtige Amt.
De Mistura will so schnell wie möglich einen Waffenstillstand und eine Verbesserung der humanitären Lage in Syrien erreichen. Der Fahrplan der internationalen Gemeinschaft sieht vor, dass in Genf eine Übergangsregierung gebildet und eine Verfassung ausgearbeitet wird. Innerhalb von 18 Monaten soll es freie Wahlen geben.
Allerdings rechnet der UN-Vermittler damit, dass die Verhandlungen wegen der großen Gegensätze zwischen den verfeindeten Parteien mindestens sechs Monate dauern werden. Am Anfang will de Mistura getrennt mit Regime und Opposition reden und mit einer Art „Pendeldiplomatie“ erst den Boden für direkte Verhandlungen bereiten.
Die Genfer Verhandlungen sollen den fünfjährigen Bürgerkrieg in Syrien beenden. Seit dessen Beginn sind mehr als 250 000 Menschen ums Leben gekommen. 4,6 Millionen Syrer flohen nach UN-Angaben vor der Gewalt ins Ausland, weitere 6,6 Millionen Menschen wurden im Land selbst vertrieben. 13,5 Millionen Syrer brauchen humanitäre Hilfe.