Tunesien ringt um seine Zukunft

Aufruhr nach Ermordung eines weiteren Politikers der liberalen Opposition.

Tunis. Noch vor wenigen Tagen kam ein dickes Lob aus dem Europarat. Man sei beeindruckt von der Qualität der Arbeit der tunesischen Parlamentarier, schrieben Experten zum jüngsten Entwurf für die neue Verfassung im Ursprungsland des Arabischen Frühlings.

Das tunesische Volk könne nur beglückwünscht werden für seine Bemühungen um eine Demokratie, die auf Menschenrechten beruhe.

Seit Donnerstag wird die Freude über die Fortschritte bei der Schaffung einer neuen Republik wieder einmal stark getrübt. Zum zweiten Mal seit Anfang des Jahres ermordeten islamistische Extremisten kaltblütig einen Oppositionspolitiker. Wie das erste Opfer Chokri Belaïd galt auch Mohamed Brahmi als Linker und erbitterter Gegner eines Gottesstaates.

Für die gemäßigte islamistische Regierungspartei Ennahda könnte der neue Anschlag ein Desaster werden. Die Bewegung unter Rachid Ghannouchi hatte sich bereits nach der Ermordung Belaïds mit heftigen Protesten konfrontiert gesehen.

Etliche liberal eingestellte Tunesier warfen ihr vor, für die Bluttat zumindest moralisch verantwortlich zu sein. Um die Krise zu entschärfen, stimmte die Ennahda damals einer umfassenden Neubildung der Regierung zu.

Nun gibt es erneut Forderungen nach einem Machtverzicht der Partei. Mit Spannung wird erwartet, ob es am Samstag bei der Beerdigung Brahmis zu großen Demonstrationen gegen die von der Ennahda geführte Regierung kommt.

„Ich rufe alle politischen Führer auf, Geschlossenheit gegenüber denjenigen zu zeigen, die sich ein Scheitern der tunesischen Revolution wünschen“, kommentierte Ghannouchi in Anspielung auf die Befreiung von Langzeitherrscher Zine el Abidine Ben Ali Anfang 2011.

Nach Ansicht von westlichen Beobachtern in Tunis sind diese Warnungen durchaus begründet. Das im Vergleich zu Algerien rohstoffarme nordafrikanische Mittelmeerland ist auf Investoren und Urlauber aus dem Westen angewiesen. Diese meiden aber Staaten, in denen Unruhen oder politische Morde befürchtet werden müssen.