Jahrestag 70 Jahre Grundgesetz - Diese Reform-Ideen gibt es

Berlin · 60 Mal wurde die Verfassung schon umgeschrieben, und auch jetzt gibt es Reformvorschläge von vielen Seiten. Ein Überblick.

Am 23. Mai wird das Grundgesetz 70 Jahre alt. Die CDU wollte 2016 Deutsch als Landessprache im Grundgesetz verankern. Angela Merkel war dagegen.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Änderungen des Grundgesetzes sind äußerst schwierig, müssen doch Bundestag und Bundesrat jeweils mit Zweidrittel-Mehrheit zustimmen. Doch 60 Mal hat das seit 1949 schon geklappt. Und noch immer gibt es zahlreiche Ideen für Reformen; manche wurden sogar extra für den 70. Jahrestag am 23. Mai formuliert. Hier eine Übersicht:

Am aussichtsreichsten ist derzeit die Einfügung eines „Kindergrundrechtes“. Bisher schützt das Grundgesetz Ehe und Familie und darüber hinaus die Würde aller Menschen. Kinder sind nicht ausdrücklich als Rechtssubjekte mit eigenen Rechten genannt. Die Große Koalition hat eine Reform bereits verabredet; Ende des Jahres soll ein konkreter Formulierungsvorschlag kommen. Der Druck auf den Staat, Kinder vor Armut und Vernachlässigung zu schützen, würde damit enorm steigen. Viele Kinderschutzorganisationen und Initiativen unterstützen das.

Forderung nach
sozialen Grundrechten

Auch andere Änderungswünsche betreffen solche „Staatszielbestimmungen“. Sie sollen den Druck auf die Regierungen erhöhen, ihre Politik zu ändern. Oft geht es um soziale Grundrechte. Früher war es das „Recht auf Arbeit“, auch gab es Initiativen für ein „Recht auf Bildung“. Heute ist es das „Grundrecht auf Wohnen“, für das die Linke, Mieterorganisationen und Obdachloseninitiativen eintreten. Jedoch hat es bisher für Derartiges nie eine Mehrheit in Bundestag und Bundesrat gegeben, und auch jetzt sieht es nicht danach aus.

Dafür hat sich die Diskussion plötzlich auf Artikel 15 verlagert, der die Möglichkeit zur Enteignung von Grund und Boden vorsieht. Juso-Chef Kevin Kühnert hatte das angestoßen; in Berlin sammelt eine Initiative Unterschriften, um diesen Passus erstmalig anzuwenden. Im Gegenzug ist die FDP auf den Plan getreten. Sie hat auf ihrem letzten Parteitag beschlossen, dass der Artikel 15 komplett gestrichen gehöre und will das im Bundestag beantragen.

Festschreibung der
sozialen Marktwirtschaft

Eine andere Alternative hat eine Gruppe namhafter Ökonomen im April vorgeschlagen. Statt des Enteignungstextes solle in Artikel 15 künftig stehen: „Bund, Länder und Kommunen sind den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet“. Hintergrund: Das Grundgesetz hat sich nicht festgelegt, welche Wirtschaftsordnung es vorzieht, die kapitalistische oder die sozialistische. Das soll damit geklärt werden.

Auch am Grundrechtskatalog möchte viele noch etwas korrigieren. So machen sich das Land Berlin und etliche Verbände von Schwulen und Lesben für ein erweitertes „Diskriminierungsverbot“ in Artikel 3 stark. Dort wird man zwar vor Benachteiligung wegen Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Herkunft, Glauben oder politischer Ansicht geschützt, nicht aber vor Benachteiligungen wegen sexueller Orientierung oder sexueller Identität. Auch die Altersdiskriminierung ist nicht erwähnt, was andere Gruppen korrigiert wissen wollen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes unterstützt diese Reformvorschläge, allerdings ist eine politische Mehrheit für eine Änderung derzeit nicht in Sicht. Die FDP wiederum hat vorgeschlagen, das Grundrecht der Presse- und Meinungsfreiheit um die „Internetfreiheit“ zu ergänzen. Bisher sind in Artikel 5 nämlich nur Presse, Rundfunk und Film ausdrücklich geschützt.

An der Organisation des Staates rüttelt im Grundgesetz aktuell nur die AfD. Die anderen Parteien haben ihre Änderungswünsche hierzu mit den Föderalismusreformen von 2006 und zuletzt mit der Lockerung des Kooperationsverbotes Ende 2018 offenbar weitgehend erschöpft. Die Rechtspopulisten möchten gern die Amtszeit des Bundeskanzlers begrenzen, mehr Volksentscheide zulassen, den Bundespräsidenten direkt wählen lassen und die „deutsche Leitkultur“ in die Verfassung aufnehmen. Außerdem soll „Deutsch als Landessprache“ festgeschrieben werden.

All das steht in einem Antrag, den die AfD anlässlich des 70. Jahrestages in den Bundestag eingebracht hat.

Deutsch als Landessprache hatte 2016 auf ihrem Essener Parteitag auch die CDU beschlossen, ausdrücklich gegen den Willen der damaligen Vorsitzenden Angela Merkel. Ihr damaliger Einwand könnte auch für viele heutige Vorschläge gelten: „Ich persönlich finde es nicht gut, alles ins Grundgesetz zu schreiben. Wir müssen aufpassen, dass das nicht inflationiert.“