Sorgen nach Zitteranfall Immer im Dienst – Merkels Knochenjob
Berlin · Es sind die seltenen Momente, in denen die Kanzlerin etwas abschalten kann. Denn Merkel ist immer im Dienst. Sie hat einen Knochenjob.
Wenn Angela Merkel Zeit findet, dann sieht man sie schon mal am späteren Abend ins Berliner Restaurant Borchardt nahe der Friedrichstraße huschen. Es ist bekannt für Wiener Schnitzel und guten Wein. Da warten dann ihr Mann Joachim Sauer und Freunde wie der Tenor Rolando Villazon auf sie. Es sind die seltenen Momente, in denen die Kanzlerin etwas abschalten kann. Denn Merkel ist immer im Dienst. Sie hat einen Knochenjob.
Schloss Bellevue, 8.30 Uhr am Donnerstag. Die Kanzlerin steht neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der gerade Katarina Barley aus dem Amt der Justizministerin entlässt. Plötzlich fangen Merkels Beine an zu zittern, ihr wird ein Wasser gereicht. Doch sie lehnt ab, verschränkt die Arme. Es ist der zweite Anfall der bald 65-Jährigen innerhalb von wenigen Tagen. Kurz drauf beruhigt Regierungssprecher Steffen Seibert: „Der Bundeskanzlerin geht es gut.“ Wie geplant fliegt sie am Mittag nach Japan zum G20-Gipfel.
Nach ihrer ersten Zitterattacke beim Staatsbesuch des neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Dienstag vor einer Woche meinte die Regierungschefin noch, sie habe zu wenig getrunken. Diesmal heißt es, die Erinnerung an den ersten Vorfall habe zum erneuten Zittern geführt. Es gebe keinen Grund zur Sorge. Doch Sorgen machen sich in Berlin jetzt viele.
Der Gesundheitszustand der Kanzlerin ist nur selten ein Thema. Alles ist Privatsache. Merkel hat eine starke Konstitution, das weiß man, sie braucht extrem wenig Schlaf. Davon zeugen auch die langen Verhandlungsnächte in Brüssel. Bekannt sind eine Meniskusoperation, ein Beckenring-Bruch durch einen Skiunfall und dass sie ab und an erkältet ist. Merkel selbst ließ mal wissen, ein Amtsarzt habe vor Jahren Bluthochdruck bei ihr festgestellt.
Fest steht: Wer Kanzlerin ist, hat kaum Zeit zum Ausspannen. Auch im Urlaub nicht. Dann ist Merkel in Südtirol oder auf Ischia - telefonieren, diskutieren und lesen muss sie aber trotzdem. Ein kleines, mobiles Büro reist immer mit. Kochen, Wandern in der Natur, Gespräche mit Freunden, das sind Merkels Entspannungsmomente. Und Stille. Die erlebe sie „allein im Büro“ oben im siebten Stock des Kanzleramtes, erzählte sie einmal. Stille brauche sie ab und an, „damit man mal einen Gedanken zuende führen kann“.
140 Quadratmeter ist ihr Arbeitsraum groß, Merkel sitzt meist am Besprechungs- und nicht an ihrem Schreibtisch. Alltag und Ausnahmezustand, das sei manchmal identisch, hat sie einst gesagt. Alles ist präzise getaktet. Zwischen sechs und 6:30 Uhr muss die Kanzlerin aufstehen, zwischen sieben und acht Uhr beginnt der Arbeitstag. Merkel wohnt in einem Mietshaus neben der Berliner Museumsinsel, ein Chauffeur bringt sie dann in einer gepanzerten Limousine ins Amt. Gefolgt von der Sicherheit, denn Personenschutz hat sie rund um die Uhr. Angekommen im Büro überfliegt sie die Nachrichtenlage, das Material haben Mitarbeiter in den frühen Morgenstunden vorbereitet. Eine Visagistin frisiert sie.
In der Regel um 8:30 Uhr trifft sich Merkel mit ihren engsten Vertrauten zur Lage. Mit dabei sind ihre Büroleiterin, der Kanzleramtschef und der Regierungssprecher. Dann reiht sich ein Termin an den anderen. Etwa 40 bis 50 muss sie pro Woche absolvieren, darunter auch der Empfang von Staatsgästen. Größere Entfernungen im Inland legt sie mit einem Hubschrauber zurück. Regiert wird auch noch, das heißt, Vorhaben werden beraten, Akten studiert und Dokumente unterzeichnet. Merkel kommuniziert viel mit dem Handy, AM steht unter ihren Nachrichten. Ebenfalls immer dabei hat sie ihren Tablet-Computer. Meist endet der Arbeitstag erst zwischen 22 Uhr und Mitternacht. Wenn sie es schafft, geht sie zwischendurch einkaufen. Mehrfach wurde sie schon in einem Supermarkt in Berlin-Mitte fotografiert – sie zahlt selbst und trägt die Einkaufstasche.
Auf Dauer kann ein solches Leben nicht gesund sein.