ANZEIGE Analyse Die Top Ten des Facharbeitermangels
Von Juli 2021 bis Juni 2022 fehlten in Deutschland im Durchschnitt so viele Fachkräfte wie nie innerhalb eines Zwölfmonatszeitraums.
Geschlechterklischees fördern diese Entwicklung, denn oft wählen bei den Mangelberufen fast nur Frauen oder fast nur Männer diesen Job. Diese Erkenntnis sollten Politik und Unternehmen nutzen, um das Problem anzugehen, schreibt der Informationsdienst des Instituts der Deutschen Wirtschaft.
Mehr als eine halbe Million qualifizierte Arbeitskräfte zu wenig auf dem deutschen Arbeitsmarkt – und das sei „eine noch untertriebene Rekordzahl“, hieß es erst jüngst wieder im Informationsdienst des Instituts der Deutschen Wirtschaft (iwd). In einem Ranking definierte es die Branchen mit dem größten Facharbeitermangel.
Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) hatte auf Grundlage von Daten der Bundesagentur für Arbeit und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung die Untersuchung zusammengestellt.
Die Zahlen sind wahrlich erschreckend und das, was erschwerend hinzukommt, obwohl sie Durchschnittswerte für die Zeit von Sommer 2021 bis Sommer 2022 sind. Es gab folglich auch Monate, in der die Zahl noch viel höher lag.
Einige Branchen trifft es besonders hart. Zu den Top Ten-Branchen, in denen die Diskrepanz zwischen Angebot (an freien Stellen) und Nachfrage (von Arbeitnehmern) besonders groß ist, gehören die Sozialarbeit, die Erziehung und Pflege, das Handwerk und die Informatik.
Die entsprechende Quote lag für fast alle Top-Ten-Mangeljobs deutlich über 50 Prozent. Einzig bei den Berufskraftfahrern sah es mit 38 Prozent vermeintlich besser aus. Der iwd: „ Dieser Job fiel zu Beginn der Corona-Pandemie aus den Top Ten. Inzwischen ist das Stellenprofil in die Liste zurückgekehrt. Und da die Beschäftigten der Branche überdurchschnittlich alt sind und es wenig Nachwuchs gibt, dürfte sich die Lücke und damit die Stellenüberhangsquote bald merklich vergrößern.“
Noch eins fällt auf: Alle zehn Berufe mit besonders großem Fachkräftemangel seien entweder typische Frauen- oder typische Männerjobs. So liege der Frauenanteil in den fünf Berufen des Sozial- oder Gesundheitsbereichs zwischen knapp 77 Prozent für die Sozialarbeit und Sozialpädagogik und fast 87 Prozent in der Kinderbetreuung und -erziehung.
Männer dominieren die gewerblich-technischen und die IT-Berufe, Führungspositionen und Vollzeitarbeit; Frauen zieht es eher in Dienstleistungsberufe, untergeordnete Positionen und Teilzeitarbeit. Nicht zu vergessen die Familien- und Hausarbeit.
Warum ist das so? Eine Erklärung kann in den Geschlechterrollen liegen, die vielfach in unserer Gesellschaft dominieren. So gelten Frauen etwa als fürsorglich, emotional, ausdrucksstark, Männer eher als rational, selbstbewusst, dominant. Diese Bewertungen werden vielfach auch an die Kinder weitergegeben. Bereits im Kindergartenalter sind die Vorstellungen von den Geschlechtern ausgeprägt. Der iwd sieht es ähnlich, wenn es auf die Ursache für diese Entwicklung zu sprechen kommt: Vor allem bei der Wahl des Ausbildungsberufs folge der Nachwuchs oft noch althergebrachten Rollenmustern
Nur 16 Prozent aller offenen Stellen – das ergab eine frühere Kofa-Analyse – werden von Firmen in jenen Engpassberufen gemeldet, die geschlechteruntypisch sind, also nicht überwiegend von Frauen oder von Männern gewählt werden. Der extreme Mangel trifft demnach fast ausschließlich Jobs, für die sich in der Regel nur eine Hälfte des Nachwuchses begeistern kann.
Es könne also helfen, wenn seitens der Bildungspolitik und der Unternehmen noch mehr getan wird, um Geschlechterklischees bei der Berufswahl aufzubrechen, schreibt der iwd in seinem Informationsdienst, „zum Beispiel in der Berufsorientierung an der Schule und mit einer werbenden Ansprache, die sich nicht auf ein Geschlecht fokussiert.“
Zudem sollte viel stärker kommuniziert werden, wie sehr sich einst kräftezehrende körperliche Jobs dank des technischen Fortschritts gewandelt haben, schlägt das Institut vor. Allerdings wird all das allein nicht genügen, um die Rekordlücke zu schließen. Vielmehr gibt es weitere Stellschrauben gegen den Fachkräftemangel – beispielsweise die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie inklusive flächendeckender Kita-Betreuung, eine Bildungspolitik, in der mehr junge Menschen zum Abschluss geführt werden, sowie qualifizierte Zuwanderung, um dem demografischen Wandel zu begegnen.
Die Top 10 beim Stellenüberhang
- Sozialarbeit und –pädagogik
- Kinderbetreuung und -erziehung
- Altenpflege
- Bauelektrik
- Gesundheits- und Krankenpflege
- Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik
- Informatik
- Physiotherapie
- Kfz-Technik
- Berufskraftfahrer