ANZEIGE WZ-Krimi 2018 Folge 4 - Kommissar Brinker: Das Phantom der B7
Zuerst hat er alle Wuppertaler Ampeln auf Rot gestellt, jetzt hat der verrückte Professor Bronsius die halbe A46 mit Tempo-30-Schildern gepflastert. Kommissar Moritz Brinker tappt derweil im Dunkeln, was es mit diesen Taten auf sich hat. Und WZ-Reporterin Tina Tonino? Sie ist dem Täter vielleicht auf der Spur ... Der Zeitungskrimi geht weiter — fiebern Sie mit und gewinnen Sie Karten für die Lesung im Juni!
Auf der A 46, Richtung Elberfeld, kurz vorm Sonnborner Kreuz
André Linke erlebt gerade ein Déjà-vu. Eigentlich sind Déjà-Vus ja Fehler in der Matrix, das weiß man als alter Science-Fiction-Film-Fan, aber so etwas wie hier heute Morgen hat er doch schon einmal erlebt. Vor zwei Tagen erst. Er steht mit seinem Liefervan im Stau. Seit ... ja, wie lange eigentlich? Ist die Stunde schon voll?
Er ruft eine Mitarbeiterin an: „Ja, derselbe Mist wie vorgestern. Was ist in dieser Stadt eigentlich los? Ob ich schon Radio gehört habe? Nein, ich hör im Auto immer Hörbücher, weißt du doch. Ready Player One gerade. Grandios. Muss unbedingt noch in den Film. Na jedenfalls weißt du sicher wieder mehr ... was? Da haben Unbekannte über Nacht die ganze A46 mit Tempo-30-Schildern vollgestellt? Wie geht denn so was? Um die 60 Schilder? Von Sonnborn bis zum Kreuz Nord? Das sind ja 20 Kilometer! Ich brech zusammen.“
Auf der B 7 in Elberfeld
„Ja, Agnes? Erika hier. Bisse schon wieder auf deinem Fazzebuck? Steht da wat? Na jedenfalls: Hier geht schon wieder nix.“
„Das heißt Facebook. Ja, bin ich. Wieder Verkehrschaos. Diesmal hammse wohl Tem-po-30-Schilder auf die ganze A46 gestellt. Da geht seit heute Morgen nix mehr. Und inner Stadt auch nich, weil die ja alle vonner Autobahn runterfahren, wenn se können.“
„Was du wieder alles weißt.“
„Die WZ weiß das, ich les das nur. Wenigstens muss ich heute nicht zum Arzt.“
„Ich schon, aber ich geh mal schön zu Fuß. Und vorher noch inne City-Arkaden Käffchen trinken. Müssen wir mal wieder zusammen machen.“
„Aber heute komm ich da wohl kaum runter von Lichtscheid. Hier ist wieder nur ein Hupen und Fluchen.“
Ab der A 46 bei Barmen
Super, denkt Tina Tonino. Erste Autobahnfahrt im neuen Seat Arona und jetzt steht sie hier. Hätte sie vor zwei Jahren jemand gefragt, ob sie sich mal einen Kompakt-SUV kaufen würde, hätte sie nur müde gegrinst, aber der hier ist einfach genial. Knackig, spritzig ... eigentlich. Aber wenn nix geht, geht nix.
Was machen bloß die ganzen Tempo-30 Schilder hier? Wer hat die bitteschön aufgestellt? Sie hat dazu schon fünf Facebook-Postings rausgehauen und die sind schon zigmal kommentiert worden.
Bei den Verkehrsbetrieben und der Autobahnmeisterei weiß man von nichts, die Polizei ist seit Stunden auf der Autobahn im Einsatz, um dieses 20-Kilometer-Chaos irgendwie in den Griff zu kriegen und die Schilder wieder einzusammeln. Denn, auch das hat Tina herausgefunden, angeordnet hat diesen Tempolimitwahnsinn auf Wuppertals wichtiger Verkehrsachse niemand.
Im kristallklaren Touchscreen des Arona blinkt eine Telefonnummer auf. Moritz Brinker ruft an.
„Na, stehst du noch oder schreibst du schon?“
„Ich bin ein großes Mädchen. Ich sitze, stehe und schreibe. Und, was gibt es Neues?“
Sie hört, wie Moritz Brinker leise lacht.
„Was denn?“
„Vor anderthalb Jahren hätte entweder ich dich das gefragt oder es in der WZ gelesen, was es Neues gibt.“
„Ich lerne halt dazu. Alles ein Geben und Nehmen. Ich sage dir etwas, du sagst mir etwas.“
„Quid pro quo. Wie bei Hannibal Lecter und ...“
„Ja, ist gut, du alter Film-Nerd. Bevor du mich jetzt auf die Pressekonferenz hinweist, die nachher irgendwann stattfindet: Komm, hau raus. Ihr wisst doch was.“
„Die Schilder wurden heute Nacht bei einer Firma geklaut, die auf Vermietung und Verkauf von Verkehrszeichen spezialisiert ist. Ich geh mal davon aus, dass wir da eine Spur finden werden. Reifen, Fingerabdrücke, irgendwas. Und dann müssen natürlich alle Schilder und die jeweiligen Stellpunkte an der Autobahn selbst untersucht werden.“
„Aber ... dafür muss die Bahn nicht voll gesperrt werden, oder?“
„Nee, das kriegen wir sicher auch so hin ... hallo? Tina? Bist du noch dran?“
„Da ... da ... fliegt was!“
„Bitte? Mücken auf der A46? Na jetzt geht’s aber los.“
„Nein, du Blödian. Da ... fliegt was ... Großes. Sieht aus wie ein ...“
„Sag jetzt nicht UFO.“
„Doch, also ... nein, aber ... und so schnell. Und blau und ...“
„Hallo! Tina! Erde an Tonino! Da fliegt kein UFO!“
„Mann, ich red doch keinen Blödsinn, Moritz! Das müssen doch andere auch gesehen haben. Mist, jetzt ist es weg.“
„Ich muss auflegen, Tina. Da ruft grad einer von der Schule an. Hoffentlich ist nichts mit meinem Sohn.“
Mensch, hätt ich doch ein Foto gemacht, denkt Tina Tonino und starrt wie besessen durch die Frontscheibe zum Himmel. Minute um Minute, Stunde um Stunde. Denn sie steht und steht und steht.
So wie viele tausend andere Wuppertaler an diesem Tag, der als jener mit dem zweitgrößten Verkehrschaos in die Geschichte der Stadt eingeht. Und als jener der allerersten UFO-Sichtung.
Denn natürlich waren einige Autofahrer schneller als Tina Tonino und haben das seltsame blaue Ding am Himmel zum Teil erstaunlich scharf fotografiert, ehe es einfach so verschwand.
Das unbekannte blaue Flug-
objekt rast an diesem Tag nicht nur über den Himmel von Wuppertal, sondern auch einmal durch alle sozialen Medien und wird am nächsten Tag die Titelseite des Lokalteils zieren.
In einem Einfamilienhaus in Cronenberg
Er hat es nicht lassen können. Es war einfach zu schön, zu reizvoll, zu spektakulär. Und vor allem: So bezeichnend. Stell den Leuten ein paar Tempo-30-Schilder hin und schon kommt der gesamte Verkehr zum Erliegen.
Gut, dass er sich damals einen Zweitschlüssel hat machen lassen vom Lieferfahrzeug des Schlafraums. War kein großer Akt, nachts den Wagen mitzunehmen und zu dieser Firma in Barmen zu fahren. Die hat er vor kurzem per Zufall entdeckt. Auf dem Hof hinter dem Hauptgebäude wimmelte es vor Verkehrsschildern.
Herrlich. Und was zeigt ihm diese Aktion? Dass dieser Verkehr einfach ein zu fragiles Gebilde ist! Die Straßen sind nicht die Zukunft. Der Himmel ist es.
Wie oft hat er versucht, das seinen Mathe- und Physik-
Studenten an der Uni zu vermitteln? Er hat genaue Berechnungen aufgestellt, was warum nicht funktionieren kann, wenn so und so viele Autos dann und dann da und da lang fahren — und wenn etwas Ungewöhnliches geschieht, dann ... bämm. Nichts geht mehr.
Was für eine Demonstration das heute doch war. Die hat er sich einfach anschauen müssen von oben. Jetzt hat ihn natürlich der eine oder andere entdeckt. Vielleicht kann man seinen Bronsikopter ja schon auf Facebook sehen. Er muss gleich mal reinschauen. Und irgendwie hat er es ja auch so gewollt. Bald wird der Bronsikopter in aller Munde sein. Wenn die Öffentlichkeit erst begriffen hat, worum es geht. Wenn endlich die ersten Investoren am Start sind. Wenn ... die Serienproduktion beginnt. Wenn ... nein, ein Schritt nach dem anderen.
Heute Abend kommt ja erst mal diese Reporterin.
Bert Bronsius tritt vors Haus in den Vorgarten. Lässt den Blick über die Straße schweifen.
Ach, da ist sie ja wieder. Groß, schlank, gutaussehend, in etwa so alt wie er. Bronsius seufzt. Schick sieht sie heute wieder aus, wie sie da zu ihrem Auto geht.
Ja, Barbara Bott sieht schick aus. Wie jeden Tag eigentlich. Heute muss sie erst gegen Mittag in der Sparkasse sein und bleibt deshalb auch vom Riesenverkehrschaos verschont. Und sie merkt nicht, dass ihr Bert Bronsius mal wieder lange nachschaut und ein sehnsuchtsvolles Lächeln aufsetzt.
Der Schlafraum an der Morianstraße
Björn Steinbrink läuft einigermaßen aufgeregt durch sein Fachgeschäft, das Handy am Ohr. „Ja, Bert, dafür habe ich natürlich Verständnis. Ein wichtiges Projekt. So so. Und du kannst nicht noch bis Ende des Monats ... nein? Weil ... es ist halt so, gerade heute müssten einige Kunden beliefert werden ... geht auf keinen Fall, aha. Das ist natürlich nicht so schön, Bert, das muss ich schon ... aber gut. Dann ... bis bald.“
Steinbrink legt auf und seufzt. Super. Das war es mit dem Fahrer. Bert hat hingeworfen. Nicht, dass sich das nicht schon irgendwie angedeutet hätte in letzter Zeit. Aber jetzt kommt es doch plötzlich.
Er scrollt durch den Terminkalender. Hilft alles nichts, dann muss er heute Nachmittag eben zwei Fahrten selber machen.
Polizeipräsidium Wuppertal
Saskia Berger sitzt im Büro, das sie sich mit Moritz Brinker teilt, und wertet die Ergebnisse der Spurensicherung auf dem Werksgelände der Schilderfirma aus, als Brinkers Telefon klingelt. Brinker selbst ist dran.
„Berger. Wo sind Sie?“
„In der Schule. Mein Sohn musste sich übergeben, meine Schwiegermutter sitzt beim Zahnarzt, mein Schwiegervater geht nicht ans Telefon, was nahelegt, das er im Garten arbeitet. Das Schicksal des alleinerziehenden Vaters. Sorry, der Nachmittag ist für mich gelaufen, bis Nils’ Oma wieder da ist. Die wird sich freuen … egal. Was haben denn die Ermittlungen bei der Schilderfirma ergeben?“
„Genau 57 Tempo-30-Schilder sind dort in der Nacht zu heute gestohlen worden. Offenbar haben der oder die Täter einen Zaun zerschnitten und die Schilder einzeln auf die Straße getragen. Da die Firma recht weit außerhalb in einem kleinen Industriegebiet liegt, scheint das niemandem aufgefallen zu sein. Die Kollegen haben frische Lackspuren an dem Zaun entdeckt, kann sein, dass die mit dem Wagen zu nah rangefahren sind. Der genaue Farbton wird jetzt analysiert, sodass wir heute Abend hoffentlich zumindest eine Fahrzeugmarke haben. Aber ich gehe von einem großen Van aus, wenn nicht Lkw.“
„Und davon gibt es ja in Wuppertal zum Glück ganz wenige.“
„Irgendwo müssen wir ja anfangen. Die Frage ist jetzt, ob die Schildaktion und diese Ampelnummer zusammenhängen. Was sagen Sie eigentlich zu dieser UFO-Geschichte? Da spricht halb Wuppertal von.“
„Keine Ahnung. Vielleicht eine Riesendrohne?“
„Nee, da saß einer drin in diesem blauen Fluggerät. Die Frage ist: Hat der oder die was mit diesem Chaos zu tun?“
„Tja ... sorry, ich muss auflegen, da kommt mein Sohn. Oh Mann, sieht der blass aus.“
Ja, denkt Saskia Berger. So wie wir, wenn es um diesen Fall geht.
Sparkasse Wuppertal, Islandufer
Das Fenster ihres Berater-Chats ploppt auf. Der Professor. Barbara Bott zuckt zusammen. Da ist er. Er, der ... und wenn er es nicht ist? Wenn es jemand ganz anderes ist? Noch immer hat sie niemandem von den Fotos erzählt, warum eigentlich nicht? Sie schämt sich, irgendwie. Sie mag sich nicht eingestehen, dass jemand … das böse Wort Stalker kommt ihr wieder in den Sinn. Sie schiebt es weg.
Er schreibt: „Guten Tag, Frau Bott. Wie geht es Ihnen?“
Sie schreibt nichts.
Er schreibt: „Hallo? Sind Sie nicht am Platz? Ich hätte da was.“
Sie denkt: Ach ja? Noch mehr Fotos? Wie ich schlafe, vielleicht? Oder morgens nach dem Duschen, im Bademantel? Sie schreibt: nichts.
Er schreibt: „Na, dann versuch ich es einfach später noch mal.“
Ihr Finger zuckt über der Tastatur. Sie schreibt: „Gerade etwas ungünstig.“
Er schreibt: „Das ist wirklich sehr, sehr schade.“
Sie zittert.
Fünf Minuten später kommt eine Mail in ihrem Postfach an. Sie öffnet sie sofort. Sie liest: „Hallo, meine Schöne.“ Sie sieht: Ein Foto von heute morgen, wie sie von ihrer Wohnung im beschaulichen Cronenberg zu ihrem Auto geht.
Sie zittert noch stärker. Ihr Handy bebt in ihrer Hand, als sie drei Ziffern eintippt.
„Ist da die Polizei? Ich werde verfolgt.“
Vor einem Zweifamilienhaus in Velbert
Björn Steinbrink hat das letzte Bett samt Matratze ausgeladen, geliefert und aufgebaut, als er noch einmal die Ladefläche des großen Kastenwagen öffnet, um nachzusehen, ob auch alles raus ist.
Doch der Inhaber des Fachgeschäfts Der Schlafraum stutzt. So alt ist der Wagen doch noch gar nicht. Waren die ganzen Kratzer und Macken letzte Woche auch schon da? Er ist ja länger nicht mehr selbst gefahren, das hat immer ... Bert gemacht. Steinbrink klettert hinein und streicht mit dem Finger über die verschiedenen Macken an den Seiten, auf dem Boden ... frisch sehen die aus. Was macht die rote Farbe da und dort? Holzbettgestelle verursachen doch nicht solche Macken, zumal sie fest verpackt sind.
Steinbrink setzt sich hinters Lenkrad und schlägt das Fahrtenbuch auf. Vergleicht es mit dem Tacho. Hier sieht alles normal aus. Aber sowas kann man ja auch fälschen. Er legt das Fahrtenbuch weg und schüttelt irritiert den Kopf. Was auch immer wer auch immer mit diesem Wagen in den letzten Tagen transportiert hat — es waren keine Betten.
Auf der Hahnerberger Straße
Gut, dass der neue Seat so spritzig ist. Tina Tonino ist wieder mal spät dran. Schon kurz nach halb acht. Sie startet über die Freisprechanlage einen Anruf. Es klickt schon nach dem ersten Klingeln.
„Frau Tonino. Sie sagen mir jetzt aber nicht wieder ab.“
„Nein, nein. Wird etwas später, aber ich bin gleich da. Und schon ganz gespannt, was Sie da so alles erfunden haben ...“