Was bleibt, wenn Schlecker geht?
Berlin (dpa) - Die Insolvenz von Schlecker könnte vor allem Menschen auf dem Land schwer treffen. Denn dort sind die Drogerie-Märkte oft quasi der „Tante-Emma-Laden“ vor Ort.
Die Poststelle wurde hier schon vor Jahren geschlossen. Auch eine Bank oder Tankstelle gibt es längst nicht mehr. In der kleinen brandenburgischen Gemeinde Schmachtenhagen, gut 40 Kilometer nördlich von Berlin, bleibt den rund 2200 Einwohnern zum Einkaufen nur noch die kleine Schleckerfiliale, ein Bauernmarkt und neuerdings ein Netto-Discounter. „Wenn Schlecker wegbricht, ist das ganz schön bitter“, seufzt Ortsvorsteher Hans-Dieter Manzl. Den Drogeriemarkt gebe es seit etwa sieben Jahren. „Früher war da mal ein kleiner Dorfladen. Jetzt gehen die Leute halt zum Schlecker, um noch schnell 'ne Flasche Shampoo oder den vergessenen Kaffee zu kaufen.“
Schmachtenhagen ist keine Ausnahme. Nicht nur im Osten Deutschlands, auch in vielen ländlichen Regionen im Westen sind die Versorgungsstrukturen in den vergangenen Jahren kräftig ausgedünnt worden. Post- und Bankfilialen wurden vielerorts geschlossen, auch die Bahn hängte zahlreiche Gemeinden einfach ab. Oft wurde das mit Rentabilität und demografischem Wandel begründet. Die Landflucht wird damit noch verstärkt. Marktforscher und Gemeindevertreter betrachten das mit Sorge.
Die Schlecker-Pleite bekommt da eine ganz andere Dimension. Viele der rund 6000 Filialen liegen in sehr kleinen Gemeinden. In manchen gibt es auch die Tageszeitung zum Frühstück und die DVD für den Abend. Allein in der Region Berlin-Brandenburg gibt es derzeit noch 260 Schleckerfilialen mit rund 1300 Beschäftigten.
„Gerade im ländlichen Raum ist Schlecker für viele die letzte Einzelhandelshoffnung. Das sind auch soziale Orte, wo man sich trifft und austauscht“, meint Norbert Portz vom Städte- und Gemeindetag. Schlecker spricht mit seinem breiten Sortiment jung und alt an. Der Stadtentwicklungsexperte spricht von einem gefährlichen Teufelskreis. Deutschland drohe eine Zweiteilung in boomende Ballungszentren und entvölkerte ländliche Gegenden.
„Und wo die Lichter erstmal ausgegangen sind, wird das Rad schwer zurückzudrehen sein.“ Familien mit Kindern zieht es nicht an Orte, wo es keine Läden, Schulen, Ärzte und öffentlichen Verkehrsverbindungen gibt. Betroffen seien da Gegenden mitten in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, aber auch im Nordosten Bayerns oder in der Osteifel. Der Einzelhandel sei da gefordert, mit den Kommunen nun Konzepte zu erarbeiten, sagt Portz.
Doch für die Branche sind Standorte auf dem Lande nur dort attraktiv, wo Kaufkraft wohnt und Umsatz zu erwarten ist. „Edeka und Rewe haben vor allem größere Einzugsgebiete im Fokus“, beobachtet Handelsexperte Matthias Queck von Planet Retail. Die Überalterung der Bevölkerung und die anhaltende Abwanderung sprächen eher gegen den ländlichen Raum. Ausnahmen seien da sicher Gebiete rund um Stuttgart, Frankfurt oder im Südwesten Münchens.
„Unsere rund 4500 selbstständigen Kaufleute sind ländlichen Gebieten traditionell stark vertreten“, heißt es zwar bei Edeka. Bei der Erschließung neuer Standorte spiele aber „selbstverständlich“ die Bevölkerungsentwicklung im Einzugsgebiet eine Rolle. Entscheidend sei, ob der Standort eine langfristige wirtschaftliche Existenzgrundlage für den Einzelhändler bietet.
Nach Einschätzung des Kölner Handelsinstituts EHI ist die Schlecker-Insolvenz auch im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung zu sehen. „Das Konzept trug sich einfach nicht mehr“, betont Geschäftsführer Michael Gerling. Aldi oder Lidl siedelten sich schon längst nicht mehr in Gemeinden unter 5000 Einwohner an. Die Einzelhandelsunternehmen feilten zwar an neuen Formaten, doch haben sie eher die Ballungsgebiete im Blick. „Eine Renaissance des kleinen Dorfladens sehen wir nicht“, sagt Gerling.
Dennoch gibt es vereinzelt Initiativen: So entstehen immer wieder von Kooperativen betriebene Lebensmittelmärkte. Sie haben dann Chancen, wenn sie eine Poststelle oder Reinigung integriert haben. Das Fuldaer Familienunternehmen Tegut versucht mit dem „Lädchen für alles“ an die guten alten Zeiten des „Tante-Emma-Ladens“ anzuknüpfen. Deren Philosophie: Die Menschen sollen für den Lebensmitteleinkauf nicht kilometerweit fahren. Von Göttingen und Körner bei Mühlhausen aus bedient „Lemke's rollender Supermarkt“ schon seit 30 Jahren mit 16 Verkaufsfahrzeugen mehr als 450 Ortschaften in Niedersachsen, Thüringen und Hessen.