Gestaltung gegen das Vergessen: Architektur für Demenzkranke
Dresden (dpa) - Der demografische Wandel hat viele Folgen: So nimmt etwa die Zahl der Alzheimerkranken zu. Ihnen fehlt es an geeignetem Wohnraum - auch, weil die gestalterischen Anforderungen sich mit dem Alter verändern.
Klare Linien, viel Licht und kein Übermaß an Informationen: Wohnräume für Demenzkranke brauchen eine deutliche Formensprache und Anreize zur Rückbesinnung für den Betroffenen. Dies könne Demenzkranken das Leben in den eigenen vier Wänden erleichtern, sagt die Dresdner Architektin Gesine Marquardt. „Die Betroffenen sind ja durchaus noch mobil und fit. Nur ihr Gedächtnis funktioniert nicht mehr so wie bei anderen.“ Doch die Architektur könne die Wahrnehmung beeinflussen. Damit sind nicht nur übersichtliche Räume und funktionale Grundrisse gemeint. Auch die Farbgebung könne dazu beitragen, dass Betroffene sich wohlfühlen und besser erinnern können. „Wenn zum Beispiel in den 1950er Jahren taubenblau als Modefarbe an die Wände kam, kann sie für betagte Menschen auch heute noch Wärme und Geborgenheit ausstrahlen.“
Farben haben aber auch noch eine andere Funktion: „In manchen Fällen hängt das Nichterkennen von Dingen mit nachlassender Sehfähigkeit zusammen. Für dieses Menschen ist eine kontrastreiche Darstellung hilfreich“, sagte Marquardt. Dinge, die in einer Wohnung hervorgehoben werden sollen, müssten in starken Kontrast zueinander stehen, etwa die Tür und der Türrahmen. Marquardt leitet an der TU Dresden eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Gruppe zur „Architektur im demografischen Wandel“. Dem demografischen Wandel und seinen verschiedenen Aspekten widmet sich auch das Wissenschaftsjahr 2013.
Ein Mensch mit Demenz lebe eben ein Stück weit in seiner Vergangenheit. „Gewohnte Dinge haben sich verfestigt, sie geben noch Struktur und Halt. Daran muss man auch in der Architektur anknüpfen“, sagte die 38-Jährige. Es sei nicht sinnvoll, die Wohnung umzugestalten und lieber noch ein WC mehr einzubauen. Der Punkt bei Wohnraum für Demenzkranke sei: „Wie kann ich das Auffinden der Toilette oder eines anderes Raumes unterstützen?“, so Marquardt. Als Beispiel nannte sie Handläufe, LED-Leuchten auf dem Fußboden oder eine nächtliche Beleuchtung des Bades. Schon mit einfachen Mitteln wie farblicher Gestaltung und Symbolen lasse sich viel bewirken. Das sei aber abhängig vom Grad der Erkrankung. Bei leichten Fällen reiche schon eine Checkliste an der Wohnungstür aus - auf ihr könne etwa stehen: „Schlüssel einstecken“ und „Schuhe an“. Bei anderen müsse man wichtige Dinge für den persönlichen Alltag ins Blickfeld rücken - beispielsweise die Trinkflasche im Flur. Die häufigste Form der Demenz ist die Alzheimer-Krankheit.
Viele Länder seien in der Architektur nicht auf den Wandel vorbereitet, lautet das Fazit der Forscher. „Auch Deutschland ist gebaut“, betonte die Leiterin und verwies auf den hohen Anteil an Altbausubtanz. Aber auch bei Neubauten werde kaum an das Leben im Alter gedacht. „Da kommt das Gäste-WC mit Vorliebe ins Erdgeschoss und das eigene Bad in den 1. Stock.“ Junge Menschen blendeten oft aus, dass Altersbeschwerden eines Tages auch bei ihnen Einzug halten.
„Wir stehen vor der Aufgabe, den Bestand anzupassen und bei jedem Neubau an die Folgen für das Alter zu denken“, sagte Marquardt. „Barrierefreiheit bedeutet nicht nur, mit dem Rollstuhl überall hinzukommen. Das heißt auch, mit Orientierungssystemen die Kognition zu unterstützen.“ Ein finanzielles Problem sieht die Forscherin dabei nicht. Ein Studie aus der Schweiz habe ergeben, dass die Kosten für ein solches altersgerechtes Bauen nur um zwei bis drei Prozent höher liegen. „Das stehe in keinem Verhältnis zu den hohen Summen, die wir heute für energetisches Bauen in Deutschland ausgeben.“
Marquardt zufolge trifft das Problem in gleichem Maße für die Gestaltung von Krankenhäusern und Pflegeheimen zu. „Geradlinige Flure sind positiv für den Demenzkranken. Dinge, die außerhalb seines Gesichtskreises liegen, dagegen nur schwer nachvollziehbar. Ein solcher Patient kann sich nicht mehr vorstellen, zweimal um die Ecke zu müssen, um da oder dort zu landen.“ Die Dresdner Architektin geht davon aus, dass Betroffene bei einem bestimmten Grad der Erkrankung viel besser in einem Heim und damit in der Gemeinschaft aufgehoben sein können. „Sie gehen gern dahin, wo andere sind. Das sieht man gut in den Pflegeheimen. Wo Demenzkranke sind, ist immer viel Leben.“