70 Jahre NRW Konrad Beikircher: „Westfalen und Rheinländer - das ist einfach ein genetischer Unterschied“
NRW wird 70 — und Konrad Beikircher ist immer noch auf der Suche nach Unterschieden von Westfalen und Rheinländern. Ein Gespräch.
Herr Beikircher, Sie sind eigentlich Südtiroler, beschäftigen sich aber seit Jahrzehnten kabarettistisch vor allem mit Rheinländern und Westfalen. Warum eigentlich?
Konrad Beikircher: Das hat 1989 angefangen. Ich musste ein neues Programm schreiben, und ein Redakteur vom WDR sagte zu mir: Mach’ doch mal was über die rheinische Sprache, Du bist doch sein Sprachfreak. Mir fiel zuerst nichts ein. Und dann saß ich eines Abends in meinem Arbeitszimmer, als mir das rheinische Begrüßungsritual einfiel: Wie isset? Joot. De Frau? Joot. De Pänz? Joot. Jesundheit? Joot. De Wagen? Läuft. Und sonst? Och joot. Das ist so absurd, es wurde dann sieben Uhr in der Früh — und ich hatte hundert Seiten geschrieben. Ich hatte den Zipfel des Teppichs nur kurz hochgehalten — und es war darunter pralles Leben.
Es musste dann wohl auch schnell ein Feind des Rheinländers her.
Beikircher: Und wer ist der natürliche Feind des Rheinländers? Der Westfale, natürlich. Den kannte ich aus meiner 15 Jahre andauernden Arbeit als Gefängnispsychologe in Nordrhein-Westfalen. Ich musste zu jener Zeit überall aushelfen. Ich war in Verl, in Duisburg-Hamborn oder in Herford. Meine Stammanstalt war in Siegburg. Da habe ich die Eigenheiten der Völkerschaften kennengelernt. Die Unterschiede sind enorm. Die Engländer müssen sich schon etwas dabei gedacht haben, als sie dieses eigenartige Bundesland Nordrhein-Westfalen erfunden haben.
Halten Sie das aus heutiger Sicht für eine gute Idee der Briten?
Beikircher: Ich finde eher, es ist nicht wirklich eine sehr gute Idee gewesen. Man hätte die Ethnien besser berücksichtigen können. Andererseits hat sich nach 70 Jahren gezeigt, dass sogar Siegerländer und Rheinländer irgendwie zurechtkommen miteinander. NRW ist ja das einzige Bundesland, dass diese Mehrschichtigkeit hat. Die Bayern hassen die Franken zwar wie die Pest, aber die Franken sind dann eben doch auch Bayern.
Und wie verhält es sich hier?
Beikircher: Ein Siegerländer empfindet sich nicht als Nordrhein-Westfale, auch ein Niederrheiner oder ein Rheinländer nicht. Das ist ein künstliches Gebilde. Man muss halt schauen, was man daraus macht. Der Unterschied zwischen Kölsch trinken und Frikadellen-Weitwurf bei Pinkus Müller in Münster — der ist schon groß. Es bleibt eine verordnete Gemeinschaft. Aber ganz langsam habe ich den Eindruck, dass es wirklich besser wird — auch wenn das richtige Wir-Gefühl in NRW sicher fehlt.
Was treibt die Menschen denn so auseinander?
Beikircher: Eine kleine Vorreiterrolle hat die Oberbürgermeisterin von Köln ja übernommen, die sich ja offensichtlich mit dem Oberbürgermeister von Düsseldorf ganz gut versteht. Das ist neu. Aber: Düsseldorf hat 500 Jahre höfische Geschichte, Köln hingegen eine freie Geschichte. Bis 1850 hat ja eigentlich jeder aus Düsseldorf irgendwie am Hof gearbeitet. Das hat sich durch Kleidung ausgedrückt. Wenn du durch die Stadt gingst, musstest du über Kleidung ausdrücken, dass du nicht Stallbursche, sondern Haushofmeister warst. Das war im Rokoko wichtig. Und dieser Kleidungsfetischismus hat sich in Düsseldorf bis heute gehalten. Dem Kölner ist das hingegen driss egal. Ich bin mal vormittags eine halbe Stunde über die Schildergasse in Köln gegangen und danach direkt nach Düsseldorf auf die Kö. Du denkst wirklich: Das hier muss Mailand sein.
Und aus Westfalen kommen auch keine guten Signale?
Beikircher: Vor einigen Wochen war ich bei der Fusion des Landesverbands Gartenbau Westfalen-Lippe mit dem Landesverband Rheinland. Ich hielt dort eine kleine Rede und merkte: Das bleiben zwei Welten.
Warum?
Beikircher: Allein der Humor. Ich machte einige Gags. Sagte ihnen, dass sie bei den Regenfällen im vergangenen Jahr besser auf Teichpflanzen wie Lotusblumen umgesattelt hätten, dann hätten sie jetzt keine Krise. Die Rheinländer haben sich auf die Schenkel geklopft, von der anderen Hälfte des Saals kam gar nichts. Die haben mich nur angeguckt mit diesem Ausdruck im Gesicht: Wir sind’s, Bielefeld und Paderborn.
Der Westfale mag es eben ein bisschen trockener.
Beikircher: Trockener? Ich saß mit Kollegen in Münster zusammen. Da waren auch zwei Kabarettisten von dort dabei. Wir unterhielten uns über regionale Abhängigkeiten von Humor. Im Rheinland ist das Entscheidende ja das Absurde, darauf bauen die Pointen. Ich erzählte also einen Klassiker: Wie der Schäl den Tünnes besuchen will, zu dessen Haus kommt und klingelt. Es passiert: nichts. Er schellt noch mal: nichts. Beim dritten Mal ruft der Tünn von drinnen: ,Ich bin nicht zu Huss!’ Woraufhin der Schäll draußen vor dem Tor sagt: ,Dann is et nur joot, dass ich gar nit gekommen bin!’ Da freut sich jeder Rheinländer und lacht. Und was sagt mein Kollege aus Westfalen? ,Warum ist der denn nicht gekommen, der steht doch da vor der Tür!?’ Da bist du sprachlos. Das ist einfach ein genetischer Unterschied.
Mögen Sie die Westfalen so gar nicht?
Beikircher: Ich mag deren trockenen Humor durchaus gern. Früher hatte ich Tagungen in Brakel, also mitten im Zielgebiet. Da stehst du abends in der Kneipe, der Westfale trinkt seine Tulpe und den Kurzen zwischen Zeiger und Mittelfinger. Sie trinken — aber sie reden nicht! Das beobachtet der Rheinländer mit Augen so groß wie Kuchenformen und versteht die Welt nicht mehr. Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn du selbst den ersten Schritt auf den Westfalen zugehst, dann ist der Kontakt zuverlässig. Das ist im Rheinland nicht so. Da betrinkst du dich abends in der Kneipe und am nächsten Tag kennt er dich nicht mehr. Ich war in Siegburg wirklich eng mit einem Kollegen aus dem Rheinland befreundet. Aber nach Hause eingeladen hat der mich zum ersten Mal nach elf Jahren.
Welche Rolle spielt der Glaube?
Beikircher: Der Westfale scheut sich ja nicht zu sagen, dass er Atheist ist. Warum? Weil der Westfale immer die Wahrheit sagt. Ich pflege zu sagen: Immer im falschen Moment. Der Glaube aber steht bei ihm felsenfest, der Rheinländer hingegen hat ein merkantiles Verhältnis zum Glauben. Der zündet die Kerze dann an, wenn er sich sicher ist, dass der Heilige das auch sieht. Ich hab’s selbst erlebt. Ich saß im Mittelschiff des Kölner Doms. Da sagt eine alte Frau neben mir: ,So geht das doch auch nicht’. Ich sagte: ,Was denn?’ Sie: ,Na gucken se mal, so viele Kerzen, da blickt doch kein Heiliger mehr durch.’ Dann steht sie auf und sagt: ,Ich nehme jetzt meine Kerze, da drüben haben die ein neues Altärchen für den heiligen Freinademetz eingerichtet. Der ist erst seit drei Jahren heilig gesprochen, der hat noch nicht so viel zu tun!’ Das meine ich mit dem merkantilen: Typisch rheinisch, man verhandelt auf Augenhöhe mit dem Heiligen Vater. Man schachert. Auf diese Idee käme der Westfale nie.
Langsam verstehe ich Ihre Erkenntnisse.
Beikircher: Im Schwäbischen gibt es so eine Redensart: Nix gschwätzt isch gnuag globt. Schrecklich, möchten sie so eine Kindheit verbringen, wenn das die Maxime ist? Fragen sie mal einen Rheinländer: Dem ist so etwas fremd.
Ein Westfale könnte diese schwäbische Ansicht teilen?
Beikircher: Schon eher. Nur ist er im Geiste nicht so aggressiv, eher sanftmütig. Wobei Tacitus ja gesagt hat: Außer saufen können die Westfalen nichts. Stimmt ja irgendwie auch.
Wie haben Sie sich als Südtiroler denn hier in NRW eingefunden?
Beikircher: Ich war drei Jahre als Student bei einer Zimmerfrau, die sprach gar kein Hochdeutsch, sie hat Bonner Dialekt geredet, da musste ich mich mit dem Rheinischen arrangieren. Und im Knast in Siegburg hatte ich viel mit Analphabeten zu tun. Die kamen überwiegend aus Köln-Kalk und Köln-Porz (lacht). Über die habe ich die Mentalität besser verstanden. Etwa, dass diese rheinische Unzuverlässigkeit auch ein Selbstschutzmechanismus ist. Das Selbstbewusstsein war im Rheinland damals nicht sehr hoch angesiedelt. Es hieß noch: Kind, sprich ordentlich. Das hat sich geändert mit Black Föös und dem Karneval, ein bisschen habe ich auch mitgewirkt. Jetzt ist man stolz auf die Sprache.
Haben Sie echte Lieblingsplätze in NRW?
Beikircher: Ich mag Bonn sehr gerne, mit blutendem Herzen, weil ich sehe, wie nachlässig man dort mit Kulturgütern wie Beethoven umgeht. Ich mag die Eifel. Und ich finde Aachen wunderbar. Fürchterlich, dass die Kölner und Düsseldorfer gar nicht wissen, wo Aachen eigentlich ist. Mönchengladbach ist nicht sonderlich schön, hat aber einen tollen historischen Kern. Die Benediktinier-Abtei dort ist so ein Juwel in NRW, von denen es viele gibt. Ich mag auch Detmold! Ganz zauberhaft! Und wenn ich in die Metropole des Absurden fahren will, dann fahre ich nach Siegen. Es ist verbaut und landschaftlich unübersichtlich. Und von der Mentalität ganz eigenartig. Aber wenn ich so darüber nachdenke: Aachen ist mein Favorit.
Warum?
Beikircher: Aachen hat diesen unglaublich gelassenen Atem der Geschichte. Die kriegst du ja nicht verunsichert, dem Aachener ist auch egal, dass alle an seiner Stadt vorbei fahren. Ich mag aber auch Düsseldorf. Ich sage: Köln ist eine Großstadt, Düsseldorf eine Weltstadt. Was bleibt ihnen auch anderes übrig, als in die Welt zu gucken. Köln genügt sich selbst, Düsseldorf hat eine andere Weltläufigkeit. Köln kommt im Laufe eines Abends immer auf Köln zurück. Da ist das Kulturkonzept: Köln.
Und das Revier?
Beikircher: Ich mag die Klarsichtigkeit. Wenn ich in Bottrop ein Bier in der Kneipe trinke, werde ich kurz gemustert. Und dann geben sie dir das direkt zu spüren. Das ist toll.
Und welche Politiker aus NRW beeindrucken Sie?
Beikircher: Ich finde nach wie vor Adenauer eine eigenwillig-erzkonservative Figur, sicher mit vielen Schattenseiten. Aber er war ein unglaublicher rheinischer Fuchs, ein Taktiker, ein Drecksack. Aber ein wundervoller.