Biathlon: Extraklasse in Gold - Laura Dahlmeier gelingt das olympische Double
Benedikt Doll jubelt über Bronze in der Verfolgung.
Pyeongchang. Eine Geste. Für alle. So ein kleines Danke. Zum Zeichen, dass sie durchaus wahrnimmt, wer alles mitspielt. Erst die Faust aufs Herz, dann beide Hände himmelwärts. Laura Dahlmeier sagt: „Wenn in einem Rennen wirklich alles so zusammenpasst, ist schon irgendwie eine Unterstützung da oder eine positive Energie.“ Von da oben. Von irgendwo, schließlich sind überall viele Menschen, die ihr Daumen drücken. Unterstützen.
Ganz alleine schafft das auch diese 24-Jährige nicht, die nach dem Sprint am Montag auch Gold in der Verfolgung von Pyeongchang holt. Das olympische Double. Laura Dahlmeier schafft, was bisher nur dem Norweger Ole Einar Björndalen gelingt. „Cool“, sagt sie über diesen Superlativ. „Unglaublich.“ Was sie zu dem Zeitpunkt nicht weiß: Zur Siegerehrung begleitet sie Benedikt Doll. Er fährt zwei Stunden nach ihr als glücklicher Dritter ins Ziel.
Es ist ein eher einsames Rennen für Laura Dahlmeier. Keine turbulente Verfolgungsjagd — aus Mangel an Jägerinnen. Ihr einziger Gegner, der auch über die Distanz von zehn Kilometern nicht nachlässt, ist die beißende Kälte. „Abartig. Meine Finger sind gerade aufgetaut. Das waren Schmerzen, schlimmer als in jedem Rennen.“ Einzig die dritte Schießeinlage bringt Brisanz. Weil die der Liebe wegen für die Slowakei startende Anastasia Kuzmina, Mutter zweier Kinder und Schwester des Russen Anton Schipulin, ihre 54 Sekunden Rückstand aus dem Sprint aufholt und mit ihrem Kleinkaliber neben Laura Dahlmeier steht.
Doch Kuzmina verfehlt zweimal, während die Deutsche unbeirrt, kontrolliert und mit höchster Akkuratesse ihren Rhythmus durchzieht und fehlerfrei bleibt. Einzig im zweiten Anschlag leistet sie sich einen Fehler. Kuzmina wird Zweite vor Anais Bescond, die anerkennend meint: „Laura dominiert unseren Sport.“ Eine effektive Idee, wie die Frau aus Garmisch-Partenkirchen in den nächsten Rennen zu schlagen ist, hat die Französin auch nicht parat.
Ähnlich drückt es Denise Herrmann aus, die starke Sechste wird: „Sie lässt der Konkurrenz keine Chance. Mir war schon klar, dass sie den Sack zumacht.“ Die Hochgepriesene und ihr zweiter Streich, den sie noch überhaupt nicht realisiert hat. Laura Dahlmeier hüpft zwar strahlend auf das Podest und posiert vor den Augen ihrer Eltern für die Fotografenschar. An mehr Medaillen verschwendet sie jetzt keine Kraft. Ihr Energiehaushalt ist noch nicht wieder in der Balance. „Wenn ihr in meine Beine reinschauen könntet, wäret ihr erstaunt, wie es überhaupt möglich ist, dass man so gewinnt.“ Richtig kaputt fühlt sie sich. Wie vor einem Jahr in Hochfilzen, wo sie zweimal kollabiert und keine Vorstellung hat, wie sie am nächsten Tag aus dem Bett kommt. Bis zum Einzel morgen wird sie einen Weg finden.
Wohin das noch führen soll, langsam weiß das auch Bundestrainer Gerald Hönig nicht mehr. Seit 1984 ist der Thüringer Trainer, doch was er in diesen Tagen hinter seinem Fernglas beobachten darf, überwältigt ihn: „Was Laura hier an Biathlon in Perfektion zeigt, das habe ich lange nicht in der Art und Weise gesehen: konstant und auf einem so hohem Level“, sagt der 59-Jährige. „Sich wieder unter schwersten Bedingungen diese Siegleistung zu erkämpfen, das bedeutet richtig harte Arbeit.“ Doch die Kälte zehrt, und die mentale Anspannung bei den komplizierten Bedingungen erfordert immense geistige Frische.
Ganz bei sich bleibt auch Benedikt Doll. Wie Olympiasieger Martin Fourcade trifft er im letzten Stehendanschlag alle Scheiben, fährt als Zweiter weg. Doch die Reserven des laufstarken Sebastian Samuelsson sind praller gefüllt, der Schwede fährt zu Silber. Der Schwarzwälder ärgert sich nicht, sondern ist mächtig stolz auf sich. „Das bedeutet mir sehr, sehr viel, das ist ein Kindheitstraum.“ Aus dem Bauch heraus fühlt sich Bronze bei Olympia noch gewichtiger an als das Überraschungs-Gold bei der WM. An Party denkt aber auch der 27-Jährige, der sich nur einen Schießfehler leistet, erstmal nicht. Körperpflege ist angesagt. Der Hals ist ob der kalten Luft gereizt. „Gesund ist das jetzt nicht so für die Lunge“, meint Doll über die Strapazen bei zweistelligen Minusgraden, „da sind die Rennen nicht gerade Wellness.“
Doch auch die Männer sind gekommen, um Medaillen zu gewinnen. Und das Vorhaben läuft. Bei Benedikt Doll, der im Verlauf der Saison häufig mit seinem Schießleistungen hadert und nach dem Sprint-Gold von Arnd Peiffer — wie alle im Team — spürt, dass der Druck nachlässt. Peiffer wird diesmal Achter, zeigt sich aber trotz dreier Fehler wie der Fünfte Simon Schempp versöhnlich, „zumal einer von uns wieder eine Medaille abgeräumt hat“.
Der Letzte, der Anastasia Kuzmina vor ihrem Abflug nach Südkorea mit guten Wünschen verabschiedet hat, ist ihr Bruder Anton Schipulin. Der Russe ist vom IOC nicht zu den Spielen eingeladen worden und wie einige andere Athleten auch mit seiner Klage vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas in letzter Minute gescheitert. „Natürlich vermisse ich ihn“, sagt Kuzmina, die bis zuletzt gehofft hat. „Er hat mir gesagt, ich solle hier zwei Medaillen gewinnen. Eine für mich und eine für ihn.“ swa