Interview Torsten Lieberknecht: "Ich bin kein Groundhopper"
Duisburg · Zehn Jahre war Torsten Lieberknecht Trainer bei Eintracht Braunschweig, mindestens genau so viele möchte er nun beim MSV Duisburg verweilen. In der ersten Saison geht es allerdings nur um den Klassenerhalt in Liga zwei.
Mit dem Abstieg aus der zweiten Liga endete im Sommer bei Eintracht Braunschweig auch die Ära von Torsten Lieberknecht. Seit 2008 hatte der Trainer den klammen Verein von der dritten Liga bis in die Bundesliga geführt, im Mai folgte das jähe Ende der Liebes-Beziehung. Dass auch großes Verletzungspech zum Absturz beitrug, hat Lieberknecht nie als Ausrede benutzt. "Ich habe meinen Frieden mit der Eintracht gemacht", sagt Lieberknecht. Seit Oktober sitzt er nun auf der Bank des MSV Duisburg, auch bei den "Zebras" geht es zunächst um den Klassenerhalt. Wir trafen uns mit dem 45-Jährigen im Stadion des MSV.
Herr Lieberknecht, haben Sie sich nach zehn Jahren mit dem "Löwen" auf der Brust schon an das "Zebra" gewöhnt?
Torsten Lieberknecht: Ja, total. Ich habe mich vom ersten Tag an in meiner Entscheidung bestätigt gefühlt, den MSV zu trainieren.
Warum der MSV und dazu noch in einer sportlich schwierigen Situation?
Lieberknecht: Eben wegen der Situation. Der MSV ist ein Verein mit Geschichte und genau solche Vereine mag ich. Duisburg wird immer aufgezählt, wenn es um die Gesichter der Bundesliga-Historie geht. Das ist ein Club mit erfolgreichen Facetten wie auch mit seinen Problemen, die dann irgendwann aufgetreten sind. Das Wissen, welche Kräfte die Menschen hier nach dem Lizenzentzug vor fünf Jahren freigesetzt haben, hat in mir ein Gefühl für diese Aufgabe entwickelt. Ich finde sie sehr spannend.
Diese Identifikation lebt auch ihr Vorgänger Ilia Gruev. Haben Sie ihn nach der Amtsübernahme kontaktiert?
Lieberknecht: Er hat mir auf meinem Schreibtisch ein Schreiben hinterlassen, auf dem "Viel Glück" stand. Danach habe ich ihm kurz eine SMS geschrieben. Ilia und ich pflegen einen Kontakt, der ein wenig über das rein kollegiale hinaus geht. Ganz ehrlich: Ich hätte lieber einen anderen hier beerbt. Grundsätzlich ist es aber wichtig, neutral an die Bewertung einer Lage heran zu gehen.
Welchen Eindruck haben Sie bei dieser Bewertung von der Mannschaft bekommen, wo die Defizite erkannt?
Lieberknecht: Im vergangenen Jahr besaß die Mannschaft eine große innere Motivation, mit dem Klassenerhalt etwas zu schaffen, was nach dem Aufstieg 2015 nicht geglückt ist. Diese Euphorie ist im zweiten Jahr naturgemäß nicht mehr so vorhanden. Dazu kommt, dass die Spieler eine höhere Erwartungshaltung haben. Sie sehen sich gefestigter als dies vielleicht der Fall ist. Was mir aber besonders Bauchschmerzen bereitet hat, waren die vielen Gegentore. Nicht auf Grund von individueller Qualität, vielmehr die Art der taktischen Verteidigung.
Da haben Sie offensichtlich schon in ihren ersten sechs Spielen Abhilfe schaffen können. Inklusive des Erfolges im DFB-Pokal stehen drei Siege, zwei Remis sowie nur eine Niederlage und lediglich drei Gegentreffer zu Buche. Dennoch kommt der MSV in der Tabelle kaum voran. Es scheint ein langer Weg zum Klassenerhalt zu werden...
Lieberknecht: Es wird ein langer Weg werden. Der MSV hatte nach acht Spielen ja nur zwei Punkte, es musste erstmal Anschluss hergestellt werden. Alle hier wissen, dass es nur noch um ein Thema geht. Dafür spüre ich auch die Unterstützung der Fans, sie haben sich auf das Ziel Klassenerhalt eingelassen.
Und die Mannschaft, wie zieht sie bei dieser Aufgabe mit?
Lieberknecht: Alle Spieler sind mit hohem Trainingseifer bei der Sache. Der Charakter und die Mentalität der Jungs war für mich mit ein Grund, hier anzufangen. Mir hat unter anderem imponiert, wie sie für Ilia Gruev gekämpft haben.
Was muss beim Blick auf das Restprogramm bis Weihnachten mit dem Keller-Duell in Bielefeld sowie gegen starke Kaliber wie Kiel, Heidenheim und den HSV an Punkten geholt werden?
Lieberknecht: Wir wissen ja nicht, was am Ende nötig sein wird. In der vergangenen Saison haben 39 Punkte, die zuletzt immer gereicht haben, zum Beispiel nicht gereicht. Es gilt, bis Weihnachten dran zu bleiben und dafür sehe ich bei der Mannschaft Fortschritte. Die defensive Stabilität ist gefestigter, das Passspiel klarer geworden und der Mut vorhanden, im Ballbesitz zielstrebig nach vorne zu agieren. Das ist wichtig, denn ein 0:0 in der 80. Minute ist immer ein Ritt auf der Rasierklinge.
Warum gilt ihr Vertrag trotz aller Zuversicht auch für die Dritte Liga?
Lieberknecht: Das war der Wunsch des MSV, er möchte damit Kontinuität bekräftigen. Natürlich machen wir uns jetzt keine Gedanken über die Dritte Liga. Wir sind alle der festen Überzeugung, dass wir drin bleiben werden. Aber nur etwas retten, das ist auch nicht mein Ding. Dafür stehe ich nicht, ich bin kein Groundhopper. Ich sehe mir zwar Spiele in vielen Stadien an - aber als Trainer ist es nicht mein Bestreben, in dieser Hinsicht Punkte zu sammeln.
Sie sagten zum Einstand, dass Sie wie bei Eintracht Braunschweig auch in Duisburg zehn Jahre bleiben möchten. Welche langfristigen Perspektiven hat der MSV denn ihrer Meinung nach?
Lieberknecht: Mit Kontinuität plus einer gesunden Erwartungshaltung kann der MSV zunächst einmal zu einem Gesicht der 2. Liga werden. Kontinuität ist wichtig, um Dinge anpacken und einen Verein peu a peu voranbringen zu können. Ein prima Beispiel ist der 1. FC Heidenheim, der dank dieser Kontinuität jetzt für den großen Wurf reif scheint. Das Potenzial sehe ich beim MSV schon wegen des Nachwuchsleistungszentrums und Trainingsgeländes gegeben. Ich war vor einiger Zeit beim FC Liverpool eingeladen, habe mir auch dessen Trainingsgelände angeschaut und mir gedacht: Dieser Melwood Ground ist zwar nochmal eine andere Qualität, aber beim MSV ist es auch nicht so schlecht.