Real Madrid vs. Bayern München Champions League: Ulreichs prägendster Moment

Madrid. In einem orkanartigen Getöse ganz bei sich selbst zu sein, ist eine Fähigkeit, die vielen Spitzentorhütern zu eigen ist. Auch Sven Ulreich, 29, beherrscht sie. Für einige Momente gehörte ihm eine ganze Spielfeldhälfte: Real Madrids Spieler jubelten ebenso auf der anderen Seite wie dort die Münchner trauerten.

Madrids Karim Benzema (M) geht an Münchens Torwart Sven Ulreich vorbei und erzielt das Tor zum 2:1.

Foto: CARLOS LOPEZ ALVAREZ

Ulreich aber saß Meter vor diesem Strafraum, in dem sich — ausgerechnet — Manuel neuer vor einem Jahr den Mittelfuß gebrochen hatte. Und in dem Ulreich nun den unglücklichsten Augenblick seiner Karriere einsammelte.

22 Sekunden waren in der zweiten Halbzeit gespielt, als Corentin Tolisso einen unverantwortlichen Rückpass spielte. Zu klären wäre er trotzdem gewesen. Von Ulreich. Dann aber folgte, was Jupp Heynckes so beschrieb: „Er hat einfach einen Blackout gehabt. Er wollte den Ball mit den Händen aufnehmen und hat dann gemerkt, das geht ja gar nicht. Dann ist er konfus geworden." Man konnte Ulreichs Gehirnwindungen förmlich beobachten. Am Ende war da nur noch Chaos im Kopf. Und es war zu spät. Wird ein Stürmer konfus, vergibt er eine Chance, ein Torwart verschuldet einen Treffer. Berufsrisiko.

Hätte er doch die Hände zur Hilfe genommen. Er hätte nicht einmal eine Gelbe Karte bekommen dürfen. Freistoß für Real, lustiges Pannenvideo, vielleicht schon fertig. So aber rutschte er am Ball vorbei, Karim Benzema schob zum 2:1 ein. Ulreich schwieg später. Und postete bei Instagram, wie leid ihm das alles tue. „Du hast uns schon oft gerettet“, antwortete Teamkollege Javier Martinez. James Rodriguez schrieb: „Wir sind ein Team!“ Vielleicht hat Heynckes wirklich etwas Beeindruckendes in diesem Anfang der Saison unter Carlo Ancelotti zerriebenen Team geschaffen.

In der Person von Ulreich zeigte der Fußball mal wieder zu welch grausamen Pointenreichtum er fähig ist. Vor wenigen Tagen noch wurde der Torwart als WM-Fahrer gehandelt, wenngleich Bundestrainer Jogi Löw darauf nie eingestiegen ist - und auch nicht eingestiegen wäre, weil er keinen Grund sieht, seine Torhüter ter Stegen, Leno, Trapp zu vernachlässigen. Und weil er ohnehin mit Neuer plant.

Es ist die Szene, die das Halbfinale geprägt hat. Und die das Bild von Ulreich in München mitprägen. Das eines guten Torwarts, der am Ende eben doch nicht da war, wie es der oft umstrittene Keylor Navas es bei den Madrilenen war. Heynckes lobte ihn ausdrücklich. Und Mats Hummels sagte vielsagend: „Wir spielen die ganze Saison ohne den besten Torwart der Welt.“

Ulreich wird bald auf die Bank zurückkehren. Neuer steht vor seinem Comeback und würde noch gerne die ein oder andere Partie spielen, ehe die Vorbereitung auf die WM startet. Nun stehen nur noch zwei unwichtige Liga-Spiele und das DFB-Pokalfinale an. Dann beginnt die Sommerpause. Eine Woche zu früh für Ulreich. Kein Champions-League-Finale. Er wird nicht mit zur WM fahren. Er hat viel Zeit. Zeit, die man ihm nicht wünscht.