Khedira: Erst „genießen“, dann wieder angreifen

Lissabon (dpa) - Bei der feucht-fröhlichen Sieger-Polonaise im Estádio da Luz marschierte Sami Khedira munter mit. Der Triumph in der Champions League mit Real Madrid war für den Fußball-Nationalspieler aber nur vorläufiger Höhepunkt seiner erstaunlichen Comeback-Geschichte im WM-Sommer.

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„Es ist nicht selbstverständlich, dass ich heute auf dem Platz stehen durfte“, sagte Khedira ein wenig nachdenklich nach seinem 59-Minuten-Einsatz im großen Finale gegen Atlético Madrid - genau sechs Monate und neun Tage nach seinem Kreuzbandriss.

Bis in den Morgengrauen ging die Party der Real-Helden. An sein eigentlich großes Ziel - die WM in Brasilien - wollte Khedira im Augenblick seines bislang größten Erfolgs gar nicht denken. „Es ist immer ein Problem, dass wir sofort wieder auf neue Ziele schauen. Man sollte auch mal den Moment genießen“, sagte der 27-Jährige.

Für viele überraschend stand er sogar in der Real-Startformation. Sein Endspiel-Auftritt über knapp eine Stunde war von Licht und Schatten geprägt, dennoch hatte der Ex-Stuttgarter seinen Anteil am hartumkämpften 4:1 (1:1, 0:1)-Erfolg nach Verlängerung gegen den Stadtrivalen.

Am Montag wird Khedira nach ein wenig Erholungsschlaf in St. Leonhard im Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft erwartet. In Südtirol wurde der Finalauftritt des lange vermissten Schlüsselspielers genau beobachtet. „Das macht uns Mut, dass er, wenn die WM beginnt, bei 100 Prozent ist. Das ist er jetzt noch nicht“, sagte Teammanager Oliver Bierhoff bei Sport1. Zur kompletten WM-Fitness fehlt noch ein Stück, das gestand auch Khedira selbst. Aber: „Die meisten Experten hätten gesagt, das klappt überhaupt nicht“, erinnerte Bierhoff an die Prognosen nach der Verletzung im November.

Als sich nach dem 2:1 durch den Waliser Gareth Bale in der 110. Minute der zehnte Titelgewinn von Real in der Königsklasse realistisch abzeichnete, lief vor Khediras innerem Auge noch einmal der Film der vergangenen sechs Monate ab.

Die unglückliche Verletzung im Test gegen Italien, die schmerzhafte Diagnose Kreuzbandriss, die Angst um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft und vor allem die unzähligen Stunden harter Schufterei in der Reha - all das kam in diesen Minuten in Khedira wieder hoch. „Von daher ist das ein unglaubliches Gefühl und erfüllt einen sehr mit Stolz“, meinte der deutsche WM-Hoffnungsträger, als er gut zwei Stunden nach Spielschluss im dunklen Jackett über dem weißen T-Shirt mit der blauen Aufschrift „La Décima“ zum Mannschaftsbus schlenderte. „Innen drin ist eine riesengroße Freude.“

Im DFB-Mannschaftsquartier in Südtirol verfolgten Bundestrainer Joachim Löw und sein Betreuerstab gemeinsam mit den Spielern den europäischen Fußball-Gipfel. „Wir haben natürlich mitgefiebert mit Sami und sind sehr froh darüber, dass er dann auch noch die Champions League gewonnen hat“, sagte Bierhoff.

Der Nationalmannschaftsmanager war wie Löw erfreut darüber, dass es nach all den Hiobsbotschaften der ersten Vorbereitungswoche endlich einmal positive Nachrichten von einem ihrer Spieler gab. Die deutsche Führungsriege verfolgte mit Erleichterung, dass Khedira von Real-Coach Carlo Ancelotti trotz zuvor nur zwei Kurzeinsätzen von Beginn an aufgestellt wurde, „insofern wird er sicher mit breiter Brust hier ankommen und herzlich von uns empfangen werden“, sagte Bierhoff.

Dass sie auf ihn fast wie einen Heilsbringer warten, behagt Khedira indes nicht. „Jetzt haben wir erst einmal ein, zwei Tage zum Feiern und dann beginnt am Montag oder Dienstag die neue Arbeit“, sagte Khedira, der im defensiven Mittelfeld nach den vielen Fragezeichen hinter Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm und dem WM-Aus von Lars Bender so dringend benötigt wird.

Doch auch wenn in Lissabon noch nicht alles rund lief, glaubt der große Hoffnungsträger bis zur WM voll da zu sein. „Vor der WM haben wir ja noch zwei, drei Spiele“, sagte Khedira, „die werden mir auch reichen“. Joachim Löw wird es erfreut zur Kenntnis nehmen.