DFB-Pokalfinale Gefangen in der eigenen Geschichte

Thomas Tuchel und Mats Hummels waren die Protagonisten des verlorenen Pokalfinals. Nach dem Spiel nahm der Trainer Abstand von seinem Kapitän.

BVB-Trainer wechselt den Neubayern Mats Hummels aus.

Foto: Andreas Gebert

Berlin. In den dunklen, kühlen Katakomben des Berliner Olympiastadions war Mats Hummels der letzte Dortmunder, es war ja noch gegen kurz vor Mitternacht eine Geschichte zu erzählen und Hummels ist eigentlich niemand, der die Geschichten, die von ihm handeln, verweigert. „Krämpfe“ hätten ihn geplagt, er habe es noch einmal versucht, aber dann sei es wohl auch dem Trainer aufgefallen, sagte der 27-Jährige so ruhig und analytisch wie er das nun mal so macht.

Der künftige Bayern-Spieler verließ das Feld gegen die Bayern nach 78 Minuten, und natürlich kulminierte der Bundesliga-Spitzenkampf im warmen, flirrenden Berlin im Elfmeterschießen. Und so war dann doch verhindert, was man sich vorher so ausgemalt hatte: Dass Hummels in seinem letzten Spiel für den BVB gegen seinen künftigen Arbeitgeber den Schlussakkord setzt, Held oder Depp, wie Lothar Matthäus 1984 für Gladbach im Pokalfinale gegen die Bayern, als der der Depp war. Der Dramatiker notierte: Dieses Elfmeterschießen ohne den angedachten Protagonisten des Abends war eine außerordentliche Verschwendung. Der FC Bayern gewann 4:3 nach Elfmeterschießen.

Dortmunds Trainer Thomas Tuchel ging das ohnehin alles auf die Nerven. Sein Kapitän habe „angezeigt rauszuwollen“, und zur Leistung Hummels’ sagte Tuchel leise, genervt und mit Pausen überhöht: „Er kann’s besser.“ Mehr sagte er nicht, diesen Interpretationsspielraum ließ der Trainer ganz offensichtlich absichtlich, jetzt war er nicht mehr bereit, sich bedingungslos hinter einen Spieler zu stellen, der ab heute schon Kontrahent ist. Wobei: Hummels hatte eigentlich gut gespielt. Mancher befand, das Ganze sei kein guter Zug des Trainers gewesen.

Einen Hummels am Elfmeterpunkt hätte Tuchel auch ganz gut gebrauchen können, weil kaum jemand mehr da war, der schießen wollte. Mkhitaryan etwa verweigerte standhaft, obwohl eigentlich sicherer Verwandler. Dafür meldeten sich der famose Sokratis, der sich aufgerichtet bis zuletzt jeder bayerischen Angriffswelle entgegen gestellt hatte, und der humpelnde Sven Bender zum Dienst, was Tuchel nicht mehr verhinderte, aber trotzdem falsch fand.

Der bisweilen im Ansatz esoterisch wirkende Trainer fabulierte nach dem Spiel, er habe die Reihenfolge seiner Schützen eigentlich anders wählen wollen, aber dann doch nicht mehr eingegriffen. Und eigentlich wollte er sagen: Warum Bender und Sokratis? Am Ende hätte er am liebsten ganz auf ein Elfmeterschießen verzichtet angesichts der Belastungen einer wahnsinnigen Saison, die mit der Qualifikation (!) für die Europa League in Wolfsberg begonnen hatte und für den BVB 56 Spiele bereit hielt _ und nun keinen Titel. „In der Bundesliga wären wir kaum auf Manni (Bender) und Papa (Sokratis) gekommen, da hätten wir uns wohl drum gestritten, wer schießen darf“, sagte Tuchel und bestand darauf, dass das kein Vorwurf, sondern eine Analyse war.

Tuchel war auch bei sich angekommen, er fand, in seinem ersten Endspiel mit den Schwarz-Gelben - inzwischen hat der BVB seine jüngsten vier Finals, drei davon im DFB-Pokal nacheinander, verloren - hatte er es durchaus mit versaut. „Ich hätte das nicht zulassen und vielleicht deutlicher bestimmen sollen.“ Wieder etwas gelernt. Ob es etwas geändert hätte? Dortmund war offenbar am Ende seiner Kraft in einem Spiel, in dem man viel hinterhergelaufen war, 70 Prozent Ballbesitz gingen an die Bayern. Tuchel hatte etwa fünfmal die Taktik geändert, Fünferkette, Dreierkette, tief und mal höher stehen, so, wie früher sein Vorbild Pep Guardiola, als der sich noch mehr am Gegner orientierte. Aber irgendwann war klar, dass es eher mit weniger Ballbesitz ums Tore verhindern gehen würde, das passte dem Trainer nicht, aber damit umzugehen gehört zu seiner Kunst, die sich noch mehr orientiert an seinem Gegenüber, als man das geahnt hatte.

Als Tuchel seinem Elfer-Debakel hinterher trauerte und auf der anderen Seite Guardiola die Hände minutenlang vor das Gesicht schlug, ging der Dortmunder den weiten Weg herüber, tickte dem Katalanen auf die Schulter und umarmte ihn. „Man wird vielleicht erst ahnen, was die Liga an diesem Trainer hatte, wenn er weg ist“, sagte Tuchel, der Guardiola für eine Inspiration hält: „Ich straffe meine eigene Haltung, wenn ich mit ihm zu tun habe.“ Nun hat er die Chance, sich mit Guardiola-Nachfolger Carlo Ancelotti zu messen, dem nicht jenes taktische Genie, wohl aber eine kluge Menschenführung nachgesagt wird. Dann ohne Gündogan und Hummels, aber mit neuen Impulsen, die Tuchel, der ja erst zwölf Monate in Dortmund arbeitet, mehr und mehr auf sein Ideal hin setzen wird. Es wird eine der spannendsten Fragen der kommenden Saison, ob der BVB in der gerade beendeten so stark war wegen seiner Fußballer - oder aber vor allem wegen eines herausragenden Trainers, der jetzt seinen ersten möglichen Titel im Profifußball verpasst hat. Aber da könnte noch etwas kommen.