DFB-Elf im EM-Quartier - Rüdiger erleidet Kreuzbandriss
Évian-les Bains (dpa) - Schock für die deutsche Nationalmannschaft im EM-Quartier am Genfer See: Gleich im ersten Training erlitt Innenverteidiger Antonio Rüdiger einen Riss des vorderen Kreuzbandes im rechten Knie und stellt Bundestrainer Joachim Löw damit vor vor neue Probleme.
Rüdiger fällt nicht nur für die EM aus, er wird auch rund sechs Monate pausieren müssen. Wer für der Innenverteidiger vom AS Rom nachnominiert wird, ist noch nicht entschieden, teilte der Deutsche Fußball-Bund mit.
Der Ausfall des 23-Jährigen ist jedenfalls ein empfindlicher Schlag für das deutsche Team kurz vor dem Start der Europameisterschaft. Rüdiger war als erste Option für den nach einem Muskelfaserriss noch nicht wieder einsatzbereiten Mats Hummels fest eingeplant. In den letzten fünf Länderspielen gehörte er stets zur Startformation. Doch nach einem Zweikampf mit Thomas Müller war der EM-Traum des Youngsters beendet.
Dabei hatte alles so harmonisch begonnen. Bienvenue à Évian - die Double-Operation des Fußball-Weltmeisters im EM-Land lief in der Abendsonne oberhalb des malerischen Genfer Sees an. Und Joachim Löw schürte am Tag des Einzugs ins DFB-Quartier auf der französischen Seite des Genfer Sees die Hoffnungen Millionen deutscher Fans auf den nächsten Jubelsommer. Der bisherige Verlauf der Vorbereitung hatte den Bundestrainer zuversichtlich gestimmt, dass zwei Jahre nach dem vierten WM-Titel auch der angestrebte vierte EM-Triumph glücken könnte.
„Die Spieler arbeiten wahnsinnig konzentriert. Sie lenken den Fokus auf die Trainingsarbeit und die Sitzungen. Ich spüre Aufmerksamkeit. Das zeigt mir, dass die Mannschaft das große Ziel wieder vor Augen hat“, sagte Löw zum Start in die finale Phase des EM-Countdowns.
Beim öffentlichen Training am Dienstagabend vor rund 1000 Zuschauern im Stade Camille Fournier folgte dann aber der Schock, als Rüdiger beim Trainingsspiel Neun gegen Neun zu Boden sank und gestützt von zwei Betreuern vom Rasen humpelte.
Mittelfeldspieler Sami Khedira und Abwehrchef Jérôme Boateng, die beim 2:0 gegen Ungarn leichte Blessuren erlitten hatten, absolvierten auch nur das Aufwärmprogramm mit der Mannschaft. Am Übungsspiel nahmen sie nicht teil.
Der Auftakt in Évian konnte damit nicht den Optimismus schüren. „Merci beaucoup, au revoir“, rief Kapitän Bastian Schweinsteiger nach der Trainingsstunde den Zuschauern über das Stadionmikrofon zu („Danke vielmals, auf Wiedersehen“). Das ehrgeizige EM-Motto des Weltmeisters prangt auch auf dem Bus, mit dem das DFB-Team über Frankreichs Straßen rollt: „Wir meistern das!“ Weltmeister 2014, Europameister 2016 - damit wäre das seltene Titel-Double perfekt.
Auf dem Frankfurter Flughafen hatte sich Schweinsteiger am Dienstag mit 21 Teamkollegen für ein Abschiedsfoto auf die Gangway der Chartermaschine gestellt. Der Platz von Lukas Podolski auf dem kurzen Flug nach Chambéry blieb allerdings frei. Der 31-Jährige erhielt von Löw nach der Geburt seiner Tochter Maja noch einen Tag frei, um sein Vaterglück bei der Familie auskosten zu können. Podolski soll aber schon an diesem Mittwoch nach Évian-les-Bains nachreisen.
Bei der Rückkehr nach Deutschland soll neben Podolski dann auch der EM-Pokal mit in der „Fanhansa“ sein. Auch Löw sehnt sich danach, die schönen Gefühle eines Finalsieges am 10. Juli im Stade de France aufs Neue zu erleben. „2014 habe ich den großen Erfolg bei der Weltmeisterschaft in Brasilien sehr genossen. Ich habe jetzt gemerkt: man strebt immer wieder danach“, sagte Löw vor seinem fünften Turnier als Chefcoach der Deutschen Presse-Agentur.
Die 8000-Seelen-Gemeinde Évian-les-Bains hatte sich zur Ankunft des DFB-Trosses besonders herausgeputzt für La Mannschaft. In ein Blumenbeet an der Seepromenade war ein überdimensionaler Fußballschuh in schwarz-rot-goldenen Farben eingebettet. Große Nähe zu ihren prominenten Gästen werden die Einheimischen allerdings abgesehen vom Skowtraining am Dienstagabend kaum erleben, was auch mit den erhöhten Sicherheitsvorkehrungen begründet werden kann.
Das Vier-Sterne-Hotel Ermitage und der Trainingsplatz sind nicht frei zugänglich. „Diese Pflicht haben wir einfach“, erklärte Teammanager Oliver Bierhoff zum verstärkten Schutz nicht nur der DFB-Auswahl nach den Terroranschlägen beim Länderspiel gegen EM-Gastgeber Frankreich im vergangenen November in Paris. Löw vertraut den Sicherheitskräften. „Ich fahre ohne Angst nach Frankreich und nach Paris“, versicherte der 56-Jährige: „Ich möchte das Thema Sicherheit auch nicht mehr ständig bei der Mannschaft thematisieren.“
Das exklusiv vom DFB gebuchte Teamhotel soll eine „kleine Oase“ bilden, wie Bierhoff betonte. Löw schätzt in den stressigen Turnierwochen Ruhe und Abgeschiedenheit. „Dort kann man auch loslassen in der Anspannung eines Turniers“, sagte der Schwarzwälder zum Quartier, dessen Vorzüge er aufzählte: „Nähe zum Platz, kleineres Hotel, ein zentraler Treffpunkt in der Mitte der Anlage, vermehrte Kommunikationsmöglichkeiten, Ruhe zur Regeneration.“
Man werde in Évian „fokussiert und konzentriert arbeiten können“, glaubt Bierhoff. Das „einzige Manko“ aus Sicht des Organisationschefs sei die rund eine Stunde lange Fahrt bis zum Flughafen. „Das kann gerade in der Nacht nach einem Spiel ein bisschen nervig sein“, gestand Bierhoff. Die erste Reise steht am kommenden Samstag an, wenn es zum ersten Gruppenspiel nach Lille gegen die Ukraine geht.
Auf das Auftaktspiel am Sonntag (21.00 Uhr) ist beim sportlichen Countdown alles ausgerichtet. „Der Fokus wird ganz auf die Ukraine gerichtet“, kündigte Löw an. „An einigen Stellschrauben wird noch gedreht. Es findet der Feinschliff statt, taktisch, personell. Es wird bis zum Anpfiff nochmal eine konzentrierte Woche werden.“
Die letzten personellen Fragezeichen halten die Spannung hoch. Es geht um die Besetzung der letzten Positionen in der EM-Startelf. Schweinsteiger wird nach seinem Kurz-Comeback beim 2:0 gegen Ungarn das Team gegen die Ukraine noch nicht anführen können. Allerdings ist Löw mit dem Ist-Zustand seines Kapitäns weitgehend zufrieden: „Ich habe gesehen, dass er wahnsinnig hart gearbeitet hat.“