Handspiel statt Heldentat - Schweinsteigers EM-Abschied

Marseille (dpa) - Bastian Schweinsteiger schaute ungläubig zu Schiedsrichter Nicola Rizzoli. Die Elfmeterentscheidung wollte der Kapitän einfach nicht wahrhaben, schüttelte leicht den Kopf.

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Nach einem Eckball von Antoine Griezmann war der 31-Jährige zum Luftkampf mit Patrice Evra hochgestiegen, bekam den Ball unglücklich an die Hand. Strafstoß für Frankreich, Gelb für Schweinsteiger - Griezmann verwandelte eiskalt (45.+2) zur für Frankreich so wichtigen Führung.

Welch ein tragischer EM-Abtritt des 120-maligen Nationalspielers, der in Minute 79 ausgelaugt und entkräftet für Leroy Sané als einen möglichen Star kommenden Jahre ausgewechselt wurde. War's das für den Routinier in der Nationalmannschaft?

Dass der schon jetzt ergraute Schweinsteiger bei der Euro 2020 noch einmal auflaufen wird, ist jedenfalls kaum vorstellbar. Der Körper der langjährigen Bayern-Ikone zeigt überdeutlich die Spuren von mehr als einem Jahrzehnt Fußball auf höchstem Niveau. Anders als bei seinem heroischen Auftritt, als er die deutsche Elf blutverschmiert zum EM-Triumph in Rio de Janeiro rettete, wurde dem DFB-Leader nun beim 0:2 im Halbfinale gegen den EM-Gastgeber die Rolle des tragischen Helden zuteil.

Welch eine Auf- und Ab-Europameisterschaft liegt hinter Schweinsteiger. Mit einem Joker-Tor zum Auftakt gegen die Ukraine war er in das Turnier gestartet, mehr und mehr hatte er sich in die EM hineingekämpft. Sein 105-Minuten Einsatz gegen Italien, als er im Elfmeterschießen verballerte, war beachtlich. Wenngleich der Mittelfeldstratege dort nicht restlos überzeugen konnte.

Da kam er in Marseille viel besser in Fahrt. Bis auf die bittere Szene kurz vor dem Halbzeitpfiff legte Schweinsteiger am Donnerstag bei der Rückkehr von Joachim Löw zum Weltmeistersystem lange einen erstaunlichen Auftritt hin. Schweinsteiger lief erstmals in Frankreich in der Startelf auf, an seiner Seite durften zwei weitere defensiven Mittelfeldleute ran. Emre Can rückte im erst siebten Länderspiel als Turnier-Debütant in die erste Elf. Toni Kroos ist im Zentrum der DFB-Elf sowieso gesetzt.

Schweinsteiger dirigierte fast schon als Libero vor der Abwehrreihe, war immer anspielbereit, rettete wiederholt. Der im EM-Jahr wiederholt am rechten Knie verletzte Routinier, dessen Einsatz wegen einer Außenbandverletzung lange nicht sicher war, unterstrich im Stade Vélodrome eine seiner großen Klassen: Er kann das Spiel, wie kaum ein anderer in der Weltmeister-Elf. Mit zunehmender Spieldauer waren ihm aber die Strapazen bei hochsommerlichen Temperaturen anzumerken. So sehr er biss: Schweinsteiger war platt.

In Brasilien hatte Löw vor zwei Jahren vom Viertelfinale gegen Frankreich (1:0) an auf drei eher defensivere Mittelfeldakteure gesetzt. Auch beim Jahrhundert-Halbfinale gegen Brasilien (7:1) und beim triumphalen Endspiel gegen Argentinien (1:0) ließ der Bundestrainer diese Variante spielen. „Wir haben das Zentrum dicht machen wollen“, begründete Teammanager Oliver Bierhoff vor dem Anpfiff in der französischen Hafenstadt nun die Rückkehr zur WM-Taktik. Der Erfolg blieb nach Schweinsteigers Missgeschick aus.

Kein Trost ist für den DFB-Kapitän eine Bestmarke. Mit nun 38 Einsätzen bei Welt- und Europameisterschaften ist Schweinsteiger nach seinem siebten Turnier vor Miroslav Klose der alleinige Rekordhalter. Ob weitere Turnier-Einsätze dazu kommen, ist fraglich. Allzu lange wird seiner Nationalmannschaftskarriere wohl nicht mehr dauern.