Wenig Tore, knappe Spiele: XXL-EM noch kein Feuerwerk
Paris (dpa) - Verteidiger Shkodran Mustafi führt kurz vor Schluss der ersten Gruppenspiele aller Teams die Spitze der EM-Torjägerliste mit an. Das hätte wohl kaum jemand prognostiziert.
Bei der Mammut-EM in Frankreich haben die Torjäger noch Startschwierigkeiten. Das liegt auch an der sehr defensiven Spielweise der Außenseiter. Bundestrainer Joachim Löw hatte schon vor dem Turnier vor einer taktisch geprägten Gruppenphase gewarnt.
Eine erste Zwischenbilanz:
Die Tore: Das gab es bei einer EM seit 20 Jahren nicht. Kein Team hat in den ersten zwölf Turnierspielen mehr als zwei Tore geschossen. Nur Deutschland, Italien und ausgerechnet Außenseiter Ungarn gewannen überhaupt mit einem Zwei-Tore-Vorsprung, und das zweite Tor fiel dabei immer erst kurz vor Schluss. Ein Torfestival ist das Turnier also auf keinen Fall. Das verrät auch der Blick auf die Torjägerliste, die auf der UEFA-Seite vor dem letzten Dienstagsspiel Bastian Schweinsteiger und Shkodran Mustafi anführten, gemeinsam mit 20 weiteren Spielern, die auch je einmal getroffen haben. 1,83 Tore pro Partie nach zwölf Spielen bedeuten einen Rückgang um fast einen Treffer pro Spiel im Vergleich zu 2012. Nur in zwei Spielen fielen mehr als zwei Tore. Immerhin gab es noch keine Nullnummer.
Die Taktik: Noch hat kein Trainer die große Taktikrevolution erkennen lassen. Auffällig ist eine hohe Flexibilität je nach Spielsituation. Die Abwehr kann schnell zur Dreier-, Vierer- oder Fünferkette modifiziert werden. Bezeichnend war die Mauertaktik der Tschechen gegen Spanien, die im Defensivverhalten einen Fünferriegel vor ihre eigentliche Viererkette zogen. Tiki-Taka ist da schwer zu spielen. Nicht ohne Grund führen Standards zu vielen Toren. Und: Ungewöhnlich oft trafen Defensivspieler (Mustafi, Gerard Piqué, Wasili Beresuzki, Fabian Schär).
Die Stars: Oft ist schon im ersten Spiel zu erkennen, ob ein Star dem Turnier den Stempel aufdrücken kann. Michel Platini legte 1984 den Grundstock zum immer noch gültigen EM-Torrekord im ersten Spiel. Lothar Matthäus trumpfte 1990 gleich zum WM-Start groß auf. Und diesmal: Noch gibt es ein großes Gefälle. Die Real-Profis Gareth Bale und Luka Modric trafen gleich für Wales und Kroatien. Andere Kandidaten taten sich zum Auftakt viel schwerer. Zlatan Ibrahimovic musste nach dem Schweden-Remis gar von seinem Trainer öffentlich verteidigt werden. Cristiano Ronaldo machte gegen Island nicht den Unterschied für Portugal. Den Franzosen Paul Pogba und Antoine Griezman droht im zweiten Spiel gar die Bank.
Die Außenseiter: Viel wurde vor dem Turnier über die Aufstockung auf 24 Teams diskutiert. Würde diese das Spielniveau senken? Die erste Bilanz: Sie verändert zumindest die Spielweisen. Das Qualitätsgefälle führt zu Mauertaktik der Kleinen - auch das ist sicher ein Grund für die geringe Torausbeute. Bundestrainer Joachim Löw hatte schon vor dem Turnier zwei Phasen angekündigt, mit taktisch geprägten Gruppenspielen und mehr Offensivdrang in der K.o.-Phase, wenn die besten Teams übrig bleiben.
Übersehen werden darf aber nicht: Defensive Außenseiter wie Tschechien und Nordirland hätten sich auch nach dem alten Modus für die EM qualifiziert. Und von den vier Gruppendritten, die noch 2012 definitiv nicht dabei gewesen wären, verlor nur die Ukraine gegen Deutschland ihr erstes Spiel.