Senf drupp - die F95-Kolumne „Der Profi-Fußball benötigt eine effektive Spielzeit“

Meinung | Düsseldorf · Der Pressesprecher der Düsseldorfer EG, seit 34 Jahren Mitglied bei Fortuna Düsseldorf und ehemaliger „Allesfahrer“, ärgert sich über die Unsitte des Zeitschindens.

Frieder Feldmann ist Pressesprecher der DEG.

Foto: Nicole Gehring

Vorab: Die folgenden Gedanken sind keine bittere Abrechnung mit dem 1. FC Nürnberg. Dessen Spieler haben am Samstag bei ihrem 1:0-Erfolg in Düsseldorf einen tapferen Kampf geboten und dabei jeden taktisch-legalen Kniff genutzt, die Begegnung zu gewinnen. Die Gästespieler ließen sich bei jeder bietenden Gelegenheit fallen und lange behandeln, nur um wenig später wieder flink über den Rasen zu laufen. Alle im Stadion – inklusive Schiedsrichter – wussten, warum sie das tun: Sie wollten den Spielfluss unterbrechen, „Zeit von der Uhr nehmen“ und dem Gegner wenig Gelegenheit geben, noch einen Treffer zu erzielen. Die Regeln geben das her. Das erzeugt bei jeden objektiven Fußballfreund sehr viel Frust, weil es Sinn und Seele des Spiels so dramatisch widerspricht. Dem Fairplay und der Vorbildfunktion für den Nachwuchs sowieso. Ich kritisiere nicht die Nürnberger Mannschaft, ich kritisiere die Regeln, die ihnen das erlaubt haben. Sie sind in der Welt des Sports eine unrühmliche Ausnahme – denn sie belohnen Zeitschinderei. Hat je jemand Roger Federer auf dem Boden liegen sehen? Oder Dirk Nowitzki, Tom Brady, Wayne Gretzky? Das liegt schlicht daran, dass die Rahmenbedingungen ihrer Sportarten ihnen keinen Vorteil verschaffen. Im Fußball ist das anders. Denn die führende Mannschaft weiß genau, dass sich das Liegenbleiben lohnt. Zwar schimpfen die Zuschauer, der Schiedsrichter tippt demonstrativ auf die Uhr und verhängt eine Nachspielzeit. Aber am Ende gewinnt der Zeitschinder eben doch. Und zwar Minuten und am Ende vielleicht das Spiel. Ich kenne keine genauen Zahlen, aber gefühlt wird nur etwa die Hälfte der „Bodenliegzeit“ am Ende angehängt, ein Teil der Nachspielzeit ergibt sich nämlich aus Toren und Auswechselungen. Jeder Zeitschinder weiß also, „wenn ich sechs Minuten liegen bleibe, folgen nur drei Minuten nachgespielt.“ Also bleibt das Team in Summe diese sechs Zeigerdrehungen auf dem Boden. Oder sogar acht. Doch es gibt Hoffnung. Es war nämlich nicht immer so. Neulich sah ich in einem Sender hinten auf der Fernbedienung die Wiederholung eines Weltmeisterschaft-Spiels aus dem Jahr 1974. Deutschland spielt in Düsseldorf gegen Schweden und muss gewinnen. Das Team von Bundestrainer Helmut Schön führt kurz vor Schluss 3:2. Ein junger Stürmer – Uli Hoeneß! – läuft einen schnellen Konter und wird von einem heranrauschenden Schweden übel gelegt. Alle Zutaten für ein langes Liegenbleiben sind gegeben: Wenig Restspielzeit, knappe Führung, schweres Foul. Aber was passiert? Der junge Hoeneß springt auf und spielt weiter. Einfach so. Diese und folgende Spielergenerationen hatten den Gedanken an übertriebenes Zeitspiel einfach noch nicht in sich, sie hatten den sterbenden Schwan noch nicht „gelernt“. Es geht also, irgendetwas ist nur im Laufe der Jahre passiert. Um wieder zu einer in dieser Hinsicht „guten alten Zeit“ zurückzukehren, braucht es lediglich zwei Änderungen, beide sind absolut machbar. Erstens, kurzfristig möglich: Der Profi-Fußball benötigt eine effektive Spielzeit, zumindest ab der 80. Minute. Bei Unterbrechungen wird die Zeit angehalten, das ist schon alles. Das Schinden hört sofort auf, weil es keinen Vorteil mehr bringt. Zweitens, langfristig: Die Selbstreinigung. Fußball benötigt eine grundlegende Philosophie-Änderung und „moralische“ Rückbesinnung. Auch das ist absolut möglich. Hat jemand mal ein professionelles Rugby-Spiel gesehen? Diese Sportart hat das britische „never explain, never complain“ zu Perfektion gebracht. Es gibt keine Diskussionen und Beschwerden von Spielerhorden beim Schiedsrichter! Niemals, zu keiner Zeit. Man macht es einfach nicht, es gilt als ehrlos. Auf den Fußball übertragen: Wenn sich alle Verantwortlichen einig wären, dass unsportliches Zeitschinden schon im Jugendbereich nicht geduldet (und gefördert) wird, werden sich schnell Veränderungen zeigen. Das könnte einhergehen mit einer anderen Regelauslegung. Im Eishockey gilt Schauspielerei – auch und gerade in der eigenen Mannschaft – als ehrlos und wird teamintern unterbunden. Dazu verhängen Schiedsrichter schnell Strafen bei offensichtlicher Schauspielerei. Es funktioniert!