WM-Debakel abgewendet Argentinien träumt nach Messis himmelblau-weißer Nacht
St. Petersburg (dpa) - Die Fußball-Welt freut sich über Lionel Messis WM-Auferstehung, die Heimat verneigt sich, und Maradona gibt Entwarnung: Nach der himmelblau-weißen Drama-Nacht von St. Petersburg ist Argentiniens Ordnung vorerst wieder hergestellt - und die Albiceleste bereit für große Taten.
Noch im Bus zum Flieger zurück ins WM-Camp vor den Toren Moskaus skandierten die freudetrunkenen Südamerikaner nach dem doch noch geglückten Sprung ins Achtelfinale: „Alle zusammen wollen wir feiern und den Roten Platz erobern.“
Inmitten neuer Sorgen um die Gesundheit von Edelfan Maradona nach dessen skurril-erschreckendem Auftritt beim nervenaufreibenden 2:1-Sieg gegen Nigeria hat Messi die Hoffnung einer Nation wieder entfacht. „Seid vorsichtig, hier bin ich und jetzt ist alles möglich“, schrieb die argentinische Zeitung „La Nacion“. „So wollen wir dich (feiern) sehen“, schrieb das Sportblatt „Olé“. Niemand habe es mehr als Messi verdient, dass die WM für Argentinien noch nicht beendet sei.
Messis 127. Länderspiel war vielleicht der entscheidende Wendepunkt für eine argentinische Mannschaft, die bis dahin nur Negativschlagzeilen produziert hatte. Sportlich im WM-Niemandsland nach dem 1:1 gegen Island und dem 0:3 gegen Kroatien, Messi vor dem Aus in Russland und womöglich im Nationaltrikot, Krisensitzung und sogar eine angebliche zwischenzeitige Trainerentmachtung.
Wer die Macht beim Vizeweltmeister hat, darüber wurde und wird noch immer viel spekuliert. Welchen unantastbaren Status Messi genießt, dokumentieren aber Aussagen wie diese von Trainer Jorge Sampaoli nach dem Nigeria-Spiel: „Als Leo mich umarmt hat, war ich sehr stolz.“ Wer Messi trainiere, der wisse, dass alle um ihn herum ihm ein gutes Gefühl geben müssten. Nach dem Traum-Tor des 31 Jahre alten Kapitäns und dessen Kniefall vor der Eckfahne mit beiden Händen und dem Blick in den Himmel schoss Abwehrspieler Marcos Rojo in der 86. Minute das Tor zum Sieg und zum Einzug ins WM-Achtelfinale gegen Frankreich.
„Es war natürlich eine riesige Erlösung“, sagte Messi - der „Man of the Match“. Als Rojo traf, sprang Messi auf dessen Rücken und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. Exakt vier Jahre und ein Tag zuvor hatten Messi (2) und Rojo mit ihren Toren für einen 3:2-Sieg gegen Nigeria im Gruppenfinale der WM in Brasilien gesorgt. Damals schaffte es Argentinien bis ins Endspiel.
„Ich wusste, dass Gott mit uns ist und uns nicht verlassen würde“, sagte Messi in der Nacht in St. Petersburg. Dort, wo im schlimmsten Fall die Karriere des Ausnahmefußballers im Nationaltrikot zu Ende gegangen wäre. Diesmal ging Messi aber vorneweg. Vorbei die Lethargie, die scheinbare Gleichgültigkeit und die Resignation nach der Demütigung durch Kroatien.
Eine Messi-Ansprache wie die kurz vor Beginn der zweiten Halbzeit gegen die Nigerianer an sein Team hat man so noch nicht gesehen. Auch „France Football“ aus dem Land des ersten K.o.-Gegners musste attestieren: „Lionel Messi hat seine Weltmeisterschaft begonnen.“
Noch in der Nacht flog das Team zurück nach Moskau, von dort ging es per Bus in Quartier nach Bronnizy. Am Freitag steht die Reise nach Kasan an, Frankreich wartet auf das Duell Vizewelt- gegen Vize-Europameister.
Viel Zeit bleibt also auch Maradona nicht, sich zu erholen. Der 57-Jährige versicherte zwar am Mittwoch, es gehe ihm gut, er sei auch nicht im Krankenhaus gewesen. Die Bilder eines teilweise apathischen, teilweise euphorischen Maradona, der auch noch von Helfern gestützt dem Zusammenbruch nahe in einen Raum in der VIP-Loge gebracht werden musste, waren dennoch besorgniserregend. Für skurrile Auftritte ist er bekannt, für Aktionen wie Stinkefinger im Doppelpack berüchtigt.
Maradonas Leiden in St. Petersburg schien aber über das selbst bei ihm gewohnte Maß hinauszugehen. Er habe in der ersten Halbzeit Nackenschmerzen gehabt und eine Dekompensation erlitten. Ein Arzt habe ihm empfohlen, ins Hotel zu gehen. „Aber ich wollte bleiben, weil es für uns um alles ging. Wie hätte ich da gehen können?“, fragte Maradona und schloss mit den Worten: „Diego wird noch eine Weile da sein.“ Das möchte auch Messi.