Nation der Zweifler feiert WM-Helden

Berlin (dpa) - Ein ganzes Land ist stolz auf die Helden von Brasilien. Beim allerletzten Kraftakt genossen Joachim Löw und seine übernächtigten Weltmeister den Jubel von Hunderttausenden schwarz-rot-goldenen Fans in vollen Zügen.

„Wir sind alle Weltmeister“, rief der dauerlächelnde Bundestrainer dem Berliner Partyvolk zu. Eine definitive Fortsetzung seiner Mission mit dem nun viermaligen Weltchampion bestätigte Löw aber auch bei der ausgelassenen Feier vor dem Brandenburger Tor nicht.

„Lasst den Bundestrainer jetzt mal ein paar Tage Urlaub machen“, sagte DFB-Generalsekretär Sandrock. Zweifel daran, dass der nach dem WM-Coup auch international hochgelobte Löw weitermacht, hat der Verband allerdings nicht: „Wir haben keine Anzeichen“, sagte Sandrock.

Fast eine halbe Million von den WM-Darbietungen des Nationalteams begeisterte Menschen bereiteten den Kämpfern um Bastian Schweinsteiger in der Hauptstadt einen rauschenden Empfang. Schon kurz vor der Landung des verspäteten Sonderfluges LH 2014 um 10.08 Uhr jubelten Fans von Hausdächern und Balkons dem DFB-Tross zu.

„Grandios. Gänsehaut. Die Gänsehaut von Rio hat sich nach Berlin übertragen“, sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach zum vierstündigen Ausnahmezustand an der Spree. „Wir sind megastolz. Wir haben es endlich geschafft“, rief Per Mertesacker in die Menge.

„Es war natürlich ein langer Weg zum Titel und am Ende auch ein wahnsinnig schwerer“, skizzierte Löw am 52. und letzten Tag seit dem Vorbereitungsbeginn in Südtirol seinen Gemütszustand. „Auch wenn es ein paar Störfeuer gab mit Verletzungen und anderem, hat es von Anfang an gepasst. Der Teamspirit hat gestimmt. Wir waren eine Einheit“, sagte Torjäger Thomas Müller.

Am Dienstagnachmittag verstreuten sich die vier WM-Wohngemeinschaften, deren Besetzungen auf der Fanmeile offiziell bestätigt wurden, vom Flughafen Berlin-Tegel aus in alle Richtungen. In mindestens drei Wochen Urlaub müssen die Weltmeister nun erst einmal den verrückten Sommer verarbeiten.

„Es gibt in Deutschland normalerweise 364 Tage Zweifel, egal, an wem“, bemerkte der auch auf den Siegerpartys vorangehende Müller. Diesmal nicht. „Jetzt haben wir das Scheißding hier endlich“, brüllte Schweinsteiger in die brodelnde Berliner Menge. Der Bayern-Profi hatte den etwa elfstündigen Flug zurück in die Heimat wie viele seiner Kollegen zu einer Verschnaufpause genutzt.

Nur die „Hunderter“ Lukas Podolski und Mertesacker ließen sich im „Siegerflieger“, wie mit Goldbuchstaben auf dem Sonderflugzeug stand, bei mitreisenden Fans, Sponsoren und Medienvertretern sehen. DFB-Generalsekretär präsentierte hautnah den Goldpokal und bemerkte fasziniert: „Diese Mannschaft strahlt etwas ganz Besonderes aus.“

Im Stadtteil Moabit waren die Weltmeister in einen offenen schwarzen Truck des Hauptsponsors umgezogen mit dem Kennzeichen „CHAMPIONS“, der auf dem Weg vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor nur sehr langsam vorankam. „Das ist ein Traum. Diese Begeisterung zu erleben. Ich wüsste nicht, was in unserem Land mehr dieses Wir-Gefühl auslösen kann als diese Fußball-Weltmeisterschaft“, sagte Niersbach.

Helene Fischer textete nach dem vierten deutschen WM-Titel nach 1954, 1974 und 1990 extra ihren Hit „Atemlos“ um. Statt der Textzeile „Spür', was Liebe mit uns macht“ sang der bei den Fußballern geliebte Schlagerstar: „Spür', was Fußball mit uns macht.“ Die angeschlagenen und sonnenbrillenbedeckten Weltmeister tanzten dazu in einer Polonaise über die Bühne.

Lukas Podolski sprach vom „besten Moment in der Karriere bis jetzt“. Einziger kleiner Ausrutscher war die Verhöhnung von Finalgegner Argentinien. „So gehen die Gauchos, die Gauchos gehen so“, sangen Miroslav Klose, André Schürrle, Shkodran Mustafi, Mario Götze, Roman Weidenfeller und Toni Kroos, als sie gebückt auf die Bühne liefen. Daraufhin richteten sie sich auf: „So gehen die Deutschen, die Deutschen, die gehen so.“

Der Bundestrainer, wie seine Spieler in einem schwarzen T-Shirt mit einer große 1 als Aufdruck, lächelte immer wieder in die Runde. „Es geht mir natürlich supergut“, beschrieb der 54-Jährige sein Gefühlslage nach dem historischen Triumph in Brasilien. Nie zuvor hatte ein Team aus Europa auf dem amerikanischen Kontinent eine WM gewonnen. „Wenn ich später mal auf meiner Veranda sitze, werde ich immer noch daran denken“, unterstrich Löw.

Die Chefs des Weltmeister-Verbandes haben keine Zweifel daran, dass Löw auch zum Start in die neue Länderspielsaison die Nationalelf als Chefcoach betreuen wird. „Wir sind total sicher. Der Präsident hat es gesagt, ich sage es auch: Wir sind total sicher, dass unser Ding noch nicht zu Ende ist“, bekräftigte DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock.

Beim Rückflug aus Brasilien haben Löw, der zukünftige Sportdirektor Hansi Flick und Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff mit der DFB-Führung schon wieder locker über kommende Aufgaben gesprochen, berichtete Sandrock. Löw will erst noch ein Gespräch mit DFB-Präsident Niersbach führen. Auch auf der Berliner Fanmeile umging der Freiburger die eindeutige Antwort auf die Frage, dass er doch jetzt nicht aufhören könne. Wirkliche Zweifel aber scheinen auch Löw an der Fortsetzung seiner Mission nicht zu plagen: „Ich denke nicht.“

Die Fans jedenfalls feierten den Weltmeister-Coach immer wieder mit Sprechchören. Torwart-Gigant Manuel Neuer stimmte den Song an: „Die Nummer eins der Welt sind wir.“ Das wird jetzt erst einmal so bleiben, auch in der Weltrangliste übernimmt Deutschland die Führung. „Wir genießen den Moment sehr“, erklärte Schweinsteiger, der sich wie Kapitän Lahm in eine Deutschland-Fahne gehüllt hatte.