Achtelfinale gegen Kolumbien Southgate kämpft gegen Englands Elfer-Trauma

Repino (dpa) - Sein persönliches Trauma hat Gareth Southgate längst überwunden. „Ich hatte ja ein paar Jahrzehnte Zeit dazu“, sagt der 47-Jährige mit einem breiten Schmunzeln.

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Der heutige Nationaltrainer Englands will aus der schlimmsten Erfahrung seiner Karriere eine Stärke entwickeln und damit das Trauma des gesamten englischen Fußballs auslöschen: Elfmeterschießen.

Schon alleine das Wort treibt englischen Fans Angst und Wut in die Glieder. Und Southgate hat sich von all den zwölf legendären Fehlschüssen wohl den fatalsten geleistet. Bei der EM 1996 gegen Deutschland vergab er nicht nur den entscheidenden Elfmeter. Er verschoss als einziger. Im Halbfinale. Im eigenen Land. Greifbarer als damals schien ein Turniersieg für England seit dem WM-Triumph 1966 niemals vorher und erst recht nie danach.

Auch wegen dieser verdammten Elfmeter. Sechs Mal ist England seit 1990 bei großen Turnieren im Nervenkrimi vom Punkt ausgeschieden, nur ein einziges Mal setzten sie sich durch. Kein anderes Team hat eine schlechtere Bilanz. Verändern will das nun alles Southgate.

Ausgerechnet jener Mann, der am 26. Juni 1996 im Wembley-Stadion an Andreas Köpke gescheitert war. Doch der 47-Jährige will sich genau diese Erfahrung zunutze machen. Und ist, nach immerhin 22 Jahren des Nachdenkens, zu folgender Erkenntnis gekommen: „Elfmeterschießen ist definitiv kein Glück. Und es hat auch nichts mit Zufall zu tun.“

Das lässt die Engländer erst einmal zusammenzucken, denn so hatten sie sich das regelmäßige Scheitern in der Strafstoß-Lotterie bisher immer erklärt: Dass es einfach Pech gewesen sei. Und sich offenbar alle bösen Fußball-Mächte gegen sie verschworen haben.

Southgate will das Gegenteil beweisen. „Im Elfmeterschießen geht es darum, unter besonderem Druck eine besondere Leistung abzuliefern“, erklärt er: „Es gibt mehrere Parameter, die das beeinflussen. Durch die man die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs deutlich steigern kann.“

Aus diesem Grund trainieren die Spieler der Three Lions seit März nach jener Einheit Elfmeter. Und sie haben sich alle psychologischen Tests unterziehen müssen. So sollte zum einen herausgefunden werden, wer der Situation am ehesten gewachsen zu sein scheint. Und den Spielern umgekehrt ein Gefühl der Sicherheit gegeben werden.

Beim Halbfinale 1996 gegen den späteren Europameister Deutschland habe Coach Terry Venables auf dem Feld spontan gefragt, wer schießen wolle. Er habe sich gemeldet, weil er dachte, Verantwortung übernehmen zu müssen, berichtet Southgate. „Heute weiß ich: Es ist vielleicht mutiger zuzugeben, dass man sich nicht sicher fühlt.“

Über den heutigen Kader existiert eine ausführliche Liste, wer in der bestmöglich simulierten Situation im Training am häufigsten getroffen hat. „Sie haben eine gewisse Routine und Sicherheit entwickelt“, sagt Southgate. Und vor allem glaubt er, die Routine jedes Spielers zur Vorbereitung zu kennen. „Der eine will nicht gestört werden, der andere braucht Hilfe und Ermutigung.“

Auch das ist alles festgehalten. Und zu guter Letzt ist auch das Verhalten aller Nicht-Schützen klar geregelt. „Um die Spieler herum muss es ruhig sein, es darf keine Nervosität herrschen“, erklärt der Coach: „Es dürfen nur bestimmte Menschen auf dem Spielfeld sein. Die Spieler sollen nicht so viele Stimmen im Ohr haben.“

Was er damit schon erreicht hat: Der natürliche englische Pessimismus ist kompletter Selbstsicherheit gewichen. Auf die Frage, ob er schießen wolle, antwortete WM-Debütant Dele Alli mit fester Stimme: „Natürlich. Wir sind gut vorbereitet. Jeder würde gerne schießen.“ Ob das reicht, den Fluch zu beenden, wird sich zeigen.