Ärger über Platz zwei Frust-Bier für Schwanitz nach EM-Silber
Berlin (dpa) - Für Christina Schwanitz ist eine Flasche Bier am Abend vor einem Titelkampf ein Ritual. Nach dem verpassten Kugelstoß-Gold bei der Leichtathletik-EM in Berlin brauchte sie noch ein paar Flaschen mehr gegen den Frust.
„Das war dringend notwendig“, sagte die 32 Jahre alte Chemnitzerin. Auch am Tag nach der vergebenen Chance, zum dritten Mal in Serie Europameisterin zu werden, war die sächsische Frohnatur alles andere als heiter.
„Wenn ich es nicht gehofft hätte, würde ich lügen. Es ist ja realistisch gewesen“, sagte die Weltmeisterin von 2015 ehrlich. „Mein Trainer Sven Lang und ich sind immer noch ein bisschen geknickt.“ Mit mäßigen 19,19 Metern hatte Schwanitz die Nase nach fünf Versuchen im Titelkampf vorn, bis die Polin Paulina Guba sie mit dem letzten Stoß über 19,33 Meter noch vom Gold-Platz schubste. „Ich habe in dieser Saison so oft weiter gestoßen, und bei der EM gehe ich mit so einer Kack-Weite raus“, schimpfte die Ausnahmeathletin.
Dabei hätte die Zwillingsmutter nach einjähriger Babypause und einem gefährlichen Autounfall vor knapp drei Wochen den EM-Ausgang auch positiv werten können. Doch nach der unglaublich schnellen Rückkehr an die Weltspitze mit einer Saisonbestleistung von 20,06 Metern war sie die sicherste Medaillenbank des deutschen EM-Teams und vom großen Coup selbst überzeugt. „Wenn man unbedingt will, geht es in die Hose“, sagte Schwanitz.
Über das Wenn und Aber des verfehlten Gold-Ziels will sie erstmal nicht nachdenken - und schon gar nicht so selbstkritisch wie es der abgetretene Diskus-Held Robert Harting ist. „Wenn ich so akribisch wie der Robert wäre, wäre ich vom Kopf her tot und erschöpft und hätte nicht die Kraft, wieder hoch zu kommen“, sagte Schwanitz, die trotz Muttersein und Training noch das Fach-Abitur meisterte.
Hinter Ausflüchten wie ihrer neuen Mutterrolle oder dem Autounfall will sie sich nicht verschanzen. „Der Unfall hat keine Rolle gespielt. Es wäre eine Ausrede und dafür bin ich nicht der Typ“, sagte Schwanitz, die auf jeden Fall bei der WM 2019 in Katar und den Olympischen Spielen 2020 in Tokio starten will. „Ich bin nicht zurückgekommen, um bloß mal zu sagen, ich bin wieder da und gehe dann wieder.“
Dass Christina Schwanitz nach dem Autocrash überhaupt zur EM kommen konnte, ist für den deutschen Cheftrainer Idriss Gonschinska fast ein Wunder - und ein großer mentaler Kraftakt gewesen. „Wir können froh sein, dass sie hier angetreten ist“, betonte er. „Nach dem ersten Telefonat nach dem Missgeschick nach den deutschen Meisterschaften haben ich sie in Berlin nicht gesehen.“