Zu viele Baustellen: Harting fehlt das Feuer
Halle/Saale (dpa) - Robert Harting wirkte ratlos. War er nun zweiter Sieger oder doch erster Verlierer? Beim letzten Versuch rutschte der Diskus-Olympiasieger aus, wie ein Maikäfer zappelte er rücklings liegend im Betonring, rappelte sich aber schnell wieder auf und schaute der Scheibe hinterher.
Sein sechster Wurf ging weit hinaus - war aber wie zuvor drei andere ungültig. „Und bei den zwei hibbeligen Versuchen, die gültig waren, ist mir der Arsch auf Grundeis gegangen“, sagte der Star der 40. Halleschen Werfertage in seiner typisch drastischen Art.
Am Ende des Tages war „der Harting“ aber ein guter Verlierer: Starke 68,28 Meter, Zweiter hinter seinem polnischen Dauerrivalen Piotr Malachowski, der den Diskus einen Meter weiter schleuderte: 69,28 Meter - Jahresweltbestleistung. Hartings Erklärungsversuche nach dem hochkarätigen Wettkampf mit acht Männern über 65 Meter klangen wie Jammern auf hohem Niveau. Allerdings: Der Berliner war in Halle nicht topfit und mit seinen Gedanken schon drei Tage voraus: Am 20. Mai muss der Student der Wirtschafts- und Medienkommunikation bei den Bachelorprüfungen durch ein ganz anderes Examen.
„Bei diesen super-geilen Bedingungen war heute mehr drin“, gestand der Welt- und Europameister. Aber? „Ich war zu langsam. Um 70 Meter zu werfen, braucht man Feuer, da muss der Kessel richtig brennen“, meinte der 29-Jährige, der körperliche Probleme zugab: „Ich war getapet von oben bis unten.“ Zwei Tage vor dem Wettkampf in der Saalestadt wollte er sogar im Bett liegen bleiben, er ließ das Training aus. Am Wettkampftag hat er noch beim Frühstück überlegt, ob er überhaupt in den Ring steigt. Doch ein Harting gibt nicht so schnell auf. Er war es auch den treuen Fans schuldig, rund 3000 waren allein beim Diskuswerfen fast in Reichweite dabei.
Auch Hartings neuer Trainer, der frühere Diskuswerfer Torsten Schmidt. Rund ein halbes Jahr arbeitet das Duo nun zusammen. „Es wird kleinere Anpassungen geben, da sind wir am Ball“, erklärte der Neubrandenburger, der selbst bei Harting noch Potenzial sieht. „Roberts Technik ist noch nicht ausgereift und auch noch nicht ausgereizt“, erklärte Schmidt. Und dass man auch im Alter noch Leistung bringen kann, zeige das Beispiel von Virgilijus Alekna: „Der hat mit 40 Jahren noch über 70 Meter geworfen.“
Die Fans feierten drei deutsche Sieger in den acht Spitzen-Wettbewerben. Vor allem Christina Schwanitz war zufrieden. Die WM-Zweite im Kugelstoßen vom LV 90 Erzgebirge haute gleich in ihrem allerersten Versuch der EM-Saison richtig einen raus: 20,22 Meter. Lokalmatadorin Nadine Müller gewann das Diskuswerfen (67,30 Meter), Ex-Europameisterin Linda Stahl (Leverkusen) die Speerwurf-Konkurrenz (63,90 Meter).
Für Betty Heidler war der Samstag dagegen ein Tag zum Vergessen. Auf jener Anlage im Sportzentrum Brandberge, wo sie vor drei Jahren den noch aktuellen Hammerwurf-Weltrekord (79,42 Meter) aufstellte, kam die gebürtige Berlinerin diesmal nicht über unerklärliche 68,21 Meter hinaus. „Ich bin einfach nicht in den Wettkampf gekommen“, sagte die Olympia-Dritte aus Frankfurt/Main nach Platz neun und nur zwei gültigen Versuchen. „Aber ich zerreiße mich deshalb nicht.“