Tour de France Düsseldorf im Rad-Fieber - Martin: „Denke nur an diesen Tag“
Düsseldorf (dpa) - Die Radsport-Prominenz ist versammelt, die „längste Theke der Welt“ für das Spektakel am Rhein herausgeputzt und Tony Martin bereit für seinen großen Traum in Gelb.
Wenn am Samstag in Düsseldorf der Vorhang für den ersten Start der Tour de France auf deutschem Boden seit 30 Jahren fällt, zählt für den Weltmeister vor einem erhofften Millionen-Publikum nur das Gelbe Trikot. „Seit Jahresbeginn denke ich nur an diesen Tag. Das ist für mich das große Highlight. Die Chance, als deutscher Fahrer in Deutschland ins Gelbe Trikot zu fahren, wird nicht mehr wiederkommen“, sagte Martin voller Vorfreude auf das Heimspiel.
Einen Vorgeschmack bekamen Martin und Co. am Donnerstag, als die Fahrer von mehr als 10 000 Radsport-Fans bei der gut zweistündigen Teampräsentation empfangen worden waren. „Ich fühle mich sehr gut und will um Gelb kämpfen“, betonte Martin. Auf den ersten 14 von insgesamt 3540 Kilometern der 104. Frankreich-Rundfahrt ist Martin der große Favorit. Der 32-Jährige fürchtet dabei weder schlechtes Wetter noch die schier erdrückende Erwartungshaltung. „Ich habe gelernt mit Druck umzugehen. Ich bin total entspannt“, ergänzte Martin und will den Startschuss für eine große Radsport-Party geben.
Die Vorfreude der 16 deutschen Tour-Teilnehmer auf das Heimspiel ist jedenfalls riesengroß. „Es fetzt. Die Tour ist generell der Wahnsinn, jetzt kommt der Wahnsinn nach Deutschland. Ich bin stolz, ein kleiner Teil dieser Entwicklung zu sein. Ich möchte die Atmosphäre genießen“, betonte Marcel Kittel, der sich auf den folgenden Flachetappen wieder Sprintduelle mit seinem deutschen Rivalen Andre Greipel liefern will. 20 Etappensiege hat das Duo seit 2011 eingefahren und maßgeblich an der Radsport-Renaissance in Deutschland beigetragen.
Im Kampf um den Gesamtsieg gehören die deutschen Asse dagegen eher zu den Statisten. In den Bergen werden die Augen auf Titelverteidiger Chris Froome gerichtet sein, der Brite hat seinen vierten Triumph im Visier. „Ich bin hungrig wie in den Jahren zuvor. In den vergangenen Wochen hat sich alles in die richtige Richtung entwickelt“, sagt Froome, der aber auch von der „größten Herausforderung“ spricht. Denn seine Leistungen in dieser Saison waren mäßig, nicht einmal stand der Sky-Kapitän auf dem Siegerpodest. Dazu hat die Konkurrenz aufgeholt.
Sein Freund und Ex-Teamkollege Richie Porte (Australien) präsentierte sich zuletzt in bestechender Form und der kolumbianische Kletterspezialist Nairo Quintana will nach Platz zwei beim Giro endlich bei der Tour ganz oben stehen. Auch Frankreich träumt dank des Vorjahreszweiten Romain Bardet vom ersten Toursieg seit Bernard Hinault 1985. Ob der zweimalige Champion Alberto Contador (Spanien) indes noch einmal triumphieren kann, ist eher fraglich. Sein Team Trek-Segafredo hat vor dem Tour-Start mit dem Dopingfall des Contador-Helfers Andre Cardoso für die Negativ-Schlagzeilen gesorgt.
Voraussetzung für alle Sieganwärter ist ein gutes Zeitfahren. Das Wetter könnte ein Problem werden. Temperaturen von unter 20 Grad und Regen sind für Samstag angesagt. Beeinflussen kann Bürgermeister Geisel („Die Sportwelt blickt nach Düsseldorf“) das Wetter nicht, ansonsten ist die Landeshauptstadt bereit für das gut 13 Millionen Euro teure Event. Seit Monaten wird Düsseldorf geschmückt und präpariert, die Altbierwirte dürfen sich auf hohe Einnahmen freuen.
Im Mittelpunkt der Organisation stand auch das Thema Sicherheit. Mehrere hundert Seiten umfasst das Konzept vor dem Hintergrund der jüngsten Terroranschläge, tausende Polizisten werden zum Einsatz kommen. Insgesamt sollen laut Tour-Organisation ASO 23 000 Sicherheitskräfte in den gut drei Wochen das Rennen schützen. Über Düsseldorf herrscht am Wochenende ein teilweises Flugverbot.
Am Sonntag ist der Spuk dann vorbei, wenn der Tour-Tross über Mönchengladbach und Aachen in Richtung Belgien weiterzieht, bevor es in Frankreich erstmals in die Berge geht. Insgesamt fünf Etappen im Hochgebirge, darunter drei Bergankünfte, könnten über den Gesamtsieg entschieden. Die berühmten Anstiege wie Tourmalet, Alpe d'Huez oder Mont Ventoux sind aber nicht im Programm. Am vorletzten Tag wartet ein weiteres Zeitfahren in Marseille.
Wenn es schließlich zum Finale auf den Champs Élysees in Paris kommt, will Rick Zabel auch noch dabei sein. Als kleiner Junge hatte er einst auf den Schultern seines Vaters Erik die Siegerehrungen erlebt, nun ist er einer der Debütanten. Dass sein Vater sich den Rekord von sechs Grünen Trikots demnächst teilen muss, dürfte er aber kaum verhindern können. Doppel-Weltmeister Peter Sagan ist der haushohe Favorit in der Punktewertung und könnte mit Erfolg Nummer sechs zu Zabel aufschließen.
Dann würde sich auch sein Arbeitgeber, das deutsche Team Bora-hansgrohe, freuen. Dass derart hochkarätige Fahrer mit einem Jahresgehalt von schätzungsweise vier Millionen Euro für eine deutsche Mannschaft starten, ist auch ein Indiz für den Aufschwung der hierzulande einst so tief gefallenen Sportart.
Den letzten Radsport-Boom hatte 1997 noch Jan Ullrich mit seinem Tour-Sieg ausgelöst. Der heute 43-Jährige ist in Düsseldorf wegen seiner Doping-Vergangenheit nicht erwünscht, was sogar bei dessen einstigem Rivalen Lance Armstrong Kopfschütteln auslöste. Trotzdem will sich Ullrich das Heimspiel nicht entgehen lassen, am zweiten Tag will er in Korschenbroich an der Strecke stehen.