Hoffnung für Dauer-Patienten Radsport
Berlin (dpa) - Kein Erdrutsch, eher eine Erosion: Die am Samstag vor genau einem Jahr abgelegte Teilbeichte Lance Armstrongs hat Bewegung in die verkrusteten Radsport-Strukturen gebracht. Für den Dauer-Patienten Radsport scheint es Hoffnung zu geben.
Die Branche nimmt mit dem Saisonstart 2014 am kommenden Dienstag bei der Tour Down Under in Adelaide mal wieder einen neuen Anlauf, der bessere Zeiten versprechen könnte. Dafür gibt es Indizien, die zum Teil nicht unmittelbar mit den Doping-Bekenntnissen Armstrongs in der TV-Show von Oprah Winfrey am 18. Januar 2013 zusammenhängen. Der Weltradsport-Verband UCI hat die Führung gewechselt und eine kompetent besetzte Kommission zur Aufarbeitung der Korruptions-Vorwürfe eingesetzt, das IOC stellte zusätzlich zehn Millionen Dollar zur Doping-Bekämpfung bereit. Zahlreiche Rückzüge von Profis und Teamleitern sorgten zumindest für mehr Hygiene im Fahrerfeld.
Dreieinhalb Monate, nachdem Brian Cookson den umstrittenen Pat McQuaid an der UCI-Spitze abgelöst hatte, setzte der Brite eine dreiköpfige Reform-Kommission zur Aufarbeitung der Vergangenheit ein. Zu CIRC gehören der ehemalige Schweizer Staatsanwalt Dick Marty, der im Kampf gegen organisiertes Verbrechen und Drogenhandel tätig war, der deutsche CAS-Richter Ulrich Haas und der australische Ex-Offizier Peter Nicholson, der für die Vereinten Nationen Kriegsverbrechen untersuchte.
Die Zusammenarbeit zwischen UCI und der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA scheint reibungslos zu laufen. „Die WADA arbeitet eng mit dem neuen Präsidenten Cookson zusammen. Wir waren in die Diskussionen um die neue Reform-Kommission, die ihre Arbeit aufnimmt, eingebunden“, erklärte WADA-Sprecher Ben Nichols der Nachrichtenagentur dpa. Er begrüßte die IOC-Investition im Kampf gegen Doping als „großen Auftrieb“.
Die Kommission, die unter anderem Geldzahlungen Armstrongs an die UCI unter der damaligen Führung Hein Verbruggens und seines Nachfolgers McQuaid und den Vorwurf der Einflussnahme auf positive Doping-Analysen zu klären hat, soll ihre Arbeit innerhalb eines Jahres abschließen. Sie sei trotz der Finanzierung durch den Dachverband „völlig unabhängig“, erklärte Cookson, der unmittelbar nach seiner Wahl in Florenz am 27. September die Daten in der UCI-Zentrale in Aigle am Genfer See sichern ließ.
Die einstige Galionsfigur des Profiradsports spielt derweil Golf und hofft auf milde Richter und eine Reduzierung seiner lebenslangen Sperre. Über sein Geständnis wollte Armstrong bisher allerdings nicht substanziell hinausgehen. Eine von der US-Anti-Doping-Agentur USADA geforderte Aussage unter Eid steht noch aus. „Ich hoffe noch immer, Teil der Lösung zu sein, mein Telefon ist an, aber niemand ruft an“, beschwerte sich der Texaner, der der Reform-Kommission Kooperationsbereitschaft signalisiert hat, via Twitter.
Der zu aktiven Zeiten millionenschwere Ex-Profi, der auf einer Europareise seine ehemaligen Mobbingopfer um Verzeihung bat, könnte bald an seine finanziellen Grenzen stoßen. In Schadenersatzprozessen soll Armstrong weiter zur Kasse gebeten werden. In zwei Vergleichen mit der Versicherung Acceptence Insurance und der Zeitung „Sunday Times“ hat er bereits mehrere Millionen verloren.
Mit unguten Gefühlen geht der 42-Jährige vor allem in den bevorstehenden Whistleblower-Prozess, den sein früherer Teamkollege Floyd Landis angeschoben hat. Mit der US-Regierung als Gegner könnte dem einstigen Seriensieger bei einer Verurteilung eine 100-Millionen- Strafe drohen. Dabei geht es um die Rückforderungen aus Armstrongs Zeit beim mit Steuermitteln finanzierten Staatskonzern US Postal (1998-2004). Sein Kontostand war im Vorjahr vom „Forbes“-Magazin auf rund 125 Millionen Dollar geschätzt worden.