Tour 2016: Froome der Gejagte
Mont-Saint-Michel (dpa) - Christopher Froome gegen den Rest der Welt, Wärmebildkameras gegen Motordoping und deutsche Top-Fahrer mit hohen Ansprüchen: Die am Samstag in Le Mont-Saint-Michel beginnende 103. Tour de France bietet Rezepte gegen EM-Fieber.
Dennoch wird der Radsport-Gipfel in der ersten Woche noch im Schatten des Fußballs stehen. Nach dem Endspiel beanspruchen der britische Vorjahressieger Froome, seine Herausforderer Alberto Contador und Nairo Quintana sowie Marcel Kittel, André Greipel, Tony Martin und John Degenkolb die volle Aufmerksamkeit. Die deutschen Starter wollen ihre Phalanx fortsetzen: In den vergangenen drei Jahren holten sie 19 Etappensiege - so viel wie keine andere Nation.
Froome will als erster Radprofi nach Lance Armstrong sein Gelbes Trikot erfolgreich verteidigen. Die Chancen auf seinen dritten Toursieg nach 2013 und 2015 stehen auf den 3519 Kilometern nicht schlecht. Die deutschen Protagonisten wollen schon zum Auftakt auftrumpfen. Die 188 Kilometer lange Flachetappe von Mont-Saint-Michel nach Utah Beach ist das Pflaster für die Schnellsten der 198 Starter.
Kittel möchte nach einem Jahr Zwangspause in Frankreich wieder da hin, wo er 2013 und 2014 zum Tour-Auftakt schon einmal stand: Auf der Bühne der Sieger im Gelben Trikot. „Ich versuche, da locker reinzugehen wie in meinen beiden Erfolgsjahren“, sagte Kittel und wollte den Erwartungsdruck abmildern. „Ich sehe nicht ein, dass ich der Favorit sein soll“. Er rechne sich „fünf bis sechs“ Chancen auf Tagessiege aus.
Nicht nur der frisch gekürte deutsche Meister und Kittel-Bezwinger André Greipel will Siege des blonden Thüringers verhindern. Der bullige Rostocker, wegen seiner Muskelpakete „Gorilla“ genannt, ist im Alter von 33 Jahren heiß auf das erste „Maillot Jaune“ seiner Karriere. Sein DM-Sieg in Erfurt - Kittel wurde nur Dritter - war „gut fürs Selbstvertrauen“, meinte Greipel.
Im Vorjahr war der Lotto-Soudal-Kapitän vierfacher Etappengewinner und beendete die Tour mit einem Tagessieg auf den Pariser Champs Elysées. In Utah Beach soll die Erfolgsstory fortgesetzt werden. Spielverderber könnten vor allem Ex-Weltmeister Mark Cavendish, der Norweger Alexander Kristoff oder der niederländische Newcomer Dylan Groenewegen werden.
Aus der Rangelei zum sicher wie immer nervösen Tourstart werden sich die hochgehandelten Top-Favoriten Froome, Contador und der Kolumbianer Quintana heraushalten. Ihre Stunden auf dem Parcours zwischen der Normandie und den Pariser Champs Elysées, wo die Tour am 24. Juli endet, schlagen erst später. Die Tour wird wie immer in den drei schweren Pyrenäen- und Alpen-Etappen (vier) entschieden. Dazu könnten der Mont Ventoux am 14. Juli und das Bergzeitfahren nach Megève als Wahrsager kommen.
Beim ersten Zeitfahren über 37 Kilometer (13. Etappe) ist besonders der Spezialist Tony Martin gefragt. „Ich habe die Strecke schon befahren. Ich rechne mir Siegchancen aus“, erklärte der dreifache Zeitfahr-Weltmeister, der mit so wenig Kilogramm Körpergewicht wie noch nie zur Tour antritt. Das hat auch schon etwas mit seinen Olympia-Ambitionen zu tun - der Kurs in Rio ist eigentlich eher etwas für federleichte Bergfahrer.
Im deutschen Ensemble ist Degenkolb die große Unbekannte. Fünf Monate nach seinem Horror-Crash in Spanien, wobei er fast die Fingerkuppe seines linken Zeigefingers verloren hätte und sich den Unterarm brach, will er sich endlich den Traum vom ersten Etappensieg erfüllen. Der Wahl-Frankfurter, der 2015 Mailand-Sanremo und Paris-Roubaix gewann, hat besonders die Etappe nach Bern im Kopf, auch wenn ihm „der Punch“ noch fehlt. „Komischerweise war die Pause vielleicht sogar gut. Ich weiß nicht, ob frisch der richtige Ausdruck ist, aber ich fühle mich gut, bin locker“, sagte er vor dem Start.
Die abseits des Sports alljährlich wiederkehrenden Nebengeräusche zum Tourstart haben sich diesmal vom Thema Chemie-Doping etwas auf die offensichtlich neue Sparte „Motordoping“ verschoben. Wärmebildkameras werden eingesetzt, um versteckte Minimotoren zu entdecken. Auch die Intensität der „normalen“ Doping-Kontrollen soll beibehalten werden.
Die Polizeipräsenz wurde wegen anhaltender Terrorgefahr erhöht. Zum ersten Mal werden auch die „Super-Gendarmen“ der Sondereinheit GIGN, das französische Gegenstück der deutschen GSG 9, eingesetzt.