Paralympics Schmermund und Co: Ärger über Russland-Kurs - „Schäme mich“

Pyeongchang (dpa) - Vor zwei Jahren attestierte Manuela Schmermund dem Internationalen Paralympischen Komitees noch stolz „Cojones“, zu deutsch „Eier“. Das Einlenken des IPC auf den Kurs des Internationalen Olympisches Komitees verärgert die Paralympics-Siegerin von 2004 nun aber im höchsten Maße.

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„Ich fühle ein unsägliches Gemisch von Wut, Trauer, Betroffenheit, Scham und Ohnmacht“, sagte die Stellvertretende Gesamt-Athletensprecherin der Behindertensportler der Deutschen Presse-Agentur: „Ja, ich schäme mich für diese Organisationen!“

Als Mitglied der achtköpfigen Athletenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) beteiligte sich Sportschützin Schmermund auch an einem Protest-Statement. „Es ist unerträglich, wie wissentlich mit einem organisierten Sportbetrug umgegangen wird“, sagt sie: „Durch diesen Umgang des IOC - und leider mittlerweile auch des IPC - wird der gesamte Antidopingkampf ad absurdum geführt.“

Vor den Sommerspielen 2016 in Rio hatte das IPC Russland wegen erwiesenen Staatsdopings komplett ausgeschlossen. Bei den am Freitag beginnenden Winter-Paralympics in Pyeongchang sind, der Maßnahme des IOC bei Olympia folgend, 30 als sauber geltende Russen unter neutraler Flagge am Start.

Das treibt auch Friedhelm Julius Beucher die Zornesröte ins Gesicht. „Wenn ich sehe, dass es bei Olympia vier Doping-Vergehen gab und davon zwei von Russen, kann ich nur sagen: Einen größeren Schlag ins Gesicht konnte es nicht geben“, sagt der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes: „Und wenn das IOC diese beiden Fälle auf individuelles Fehlverhalten reduziert, kann ich nur den Kopf schütteln.“

Dass Russlands Komitee vom IOC sogar wieder aufgenommen wurde, kann Beucher nicht nachvollziehen. Russland habe „den McLaren-Report und damit erwiesene, flächendeckende Verstöße nicht anerkannt und trotz der erdrückenden Beweise noch immer nicht zugegeben. Eine größere Missachtung international aufgestellter Regeln kann es nicht geben.“ Deutschlands Chef de Mission Karl Quade verweist darauf, „dass sich in Russland kein nachhaltiges Anti-Doping System etabliert hat — von einer geänderten Doping-Mentalität ganz zu schweigen“.

Auch Verena Bentele, 2010 in Vancouver fünffache Paralympics-Siegerin und heute Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, empfindet die aktuelle Lösung als „schwierig. Das IOC hat schon keine klare Kante gezeigt, und dann gab es wieder Dopingfälle bei Olympia. Das ist kein Weg, der nachhaltig für Veränderungen sorgen kann.“

Die sechsmalige Paralympics-Siegerin Andrea Eskau begrüßt dagegen ausdrücklich den Start einer Handvoll russischer Athletinnen in ihrer Startklasse. „Ich verstehe jeden Sportler, der sich über ihre Abwesenheit freut, weil das seine Chancen auf Medaillen und Sieg steigert. Und ich verstehe jeden Funktionär, der aufgrund der Doping-Vorfälle den Ausschluss der russischen Athleten fordert. Aber ich kenne die Sportler persönlich, die Menschen dahinter und ihre Geschichte“, sagte die nordische Athletin. Auf die Frage, ob ihre Konkurrentinnen sauber sind, meinte sie schmunzelnd: „Die meisten sind 20 oder mehr Jahre jünger als ich. Sie könnten meine Töchter sein, und ich kann mit ihnen mithalten. Was müssten das dann für Mittel sein, die sie nehmen?“

Bei vielen Athleten herrscht aber Skepsis. „Bei den einzelnen Athleten weiß ich nicht, ob sie sauber sind. Meine Hand lege ich dafür nicht ins Feuer“, sagt Biathletin Anja Wicker: „Ich hätte mir schon einen Komplett-Ausschluss als deutliches Signal gewünscht. Jetzt ist es wieder wischiwaschi, das ist schade.“

Auch Andrea Rothfuss, Slalom-Paralympicssiegerin von Sotschi, bedauert, dass das IPC „von seiner harten Linie abweicht“. Die Sonderregeln für die neutralen Starter empfindet sie als nicht tauglich: „Nur zwei absolvierte Dopingkontrollen während der letzten sechs Monate sind zu wenig, um bei Paralympics starten zu dürfen.“