König auf Abschiedstour: Bjørndalen peilt WM-Medaille an

Oslo (dpa) - Um die Erfolge von Ole Einar Bjørndalen aufzulisten, braucht man mehrere Seiten. Rekord-Weltmeister und Rekord-Olympiasieger ist der Ausnahme-Biathlet. Jetzt will er zum letzten Mal Edelmetall holen und das mit 42 Jahren.

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Was haben Sie sich für die WM in Oslo vorgenommen?

Ole Einar Bjørndalen: Ich freue mich auf die Heim-WM, das ist etwas Besonderes. Mein Ziel ist es, bei der WM in Top-Form zu sein. Wenn ich gut drauf bin, habe ich die Möglichkeit zu gewinnen.

In welchem Rennen würden Sie am liebsten eine Einzelmedaille holen? Im Sprint, wie bei ihrem Sensations-Olympiasieg 2014?

Bjørndalen: Der Sprint ist für mich am wichtigsten, das ist meine Hauptstrecke. Du musst wahnsinnig schnell laufen und schießen. Am meisten Spaß macht der Massenstart, das ist wie die Formel 1. Wenn ich in guter Form bin, wäre eine Medaille in einem dieser beiden Rennen für mich am schönsten.

Ist das definitiv Ihre letzte WM?

Bjørndalen: Ich habe schon vor dem Winter gesagt, dass es meine letzte WM und meine letzte Saison sein wird. Aber das habe ich vor Olympia 2014 auch getan, dann meine Meinung geändert. Derzeit aber steht meine Entscheidung fest, ich beende nach der Saison meine Karriere. Ich habe das Gefühl, dass es der richtige Zeitpunkt ist.

Also ist ein erneuter Rücktritt vom Rücktritt ausgeschlossen?

Bjørndalen: Derzeit ja, absolut. Aber wenn man aufhört, kommen viele neue Situationen auf einen zu. Und wenn ich dann nicht zufrieden bin, werde ich vielleicht doch weiterlaufen. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich weitermachen will, wird die Entscheidung im Sommer fallen.

Was trauen Sie den Deutschen bei der WM zu?

Bjørndalen: Die Deutschen werden sehr stark sein, vor allem Simon Schempp. Er ist für mich ein absoluter Titelkandidat. Auch mit Arnd Peiffer ist zu rechnen, er war immer extrem stark in Oslo. Aber man muss erstmal abwarten, wie er seinen schweren Sturz beim letzten Weltcup verkraftet. Ich denke, die zwei sind die Besten und haben die größten Chancen, Rennen und Medaillen zu gewinnen. Und in der Staffel gehören sie als Titelverteidiger ohnehin mit zu den Favoriten.

Was treibt Sie mit 42 Jahren immer noch an, sich so zu quälen?

Bjørndalen: Für mich ist Biathlon nach wie vor keine Arbeit, sondern immer noch mein Hobby. Alles drum herum ist meine Arbeit. Wenn ich trainieren kann, habe ich nie einen schlechten Tag. Training ist keine Qual für mich, sondern Spaß. Ich habe immer noch eine große Motivation und Ziele, fühle mich vom Kopf her immer noch sehr jung.

Ist Biathlon wie eine Art „Droge“ für Sie?

Bjørndalen: Ja, es ist wie eine positive Sucht. Vom Biathlon oder Sport generell bin ich sicher ein Stück abhängig. Auch wenn ich eines Tages mit dem Leistungssport aufhöre, werde ich danach immer noch sehr viel trainieren. Sport gehört einfach zu meinem Leben dazu.

Sie sind Vorreiter in Sachen Innovation, haben viele Dinge als Erster gemacht. War das ein Schlüssel zu Ihrem Erfolg?

Bjørndalen: Sport ist einfach Entwicklung. Wenn du da stehen bleibst und dich neuen Dingen nicht öffnest oder nicht nach Verbesserungen suchst, kommst du sportlich nicht weiter, verharrst physisch und psychisch irgendwann auf einem bestimmten Level - und das bedeutet Rückschritt statt Fortschritt.

Sie gelten als absoluter Perfektionist. Ist der Hang zum Perfektionismus nicht oft anstrengend, vielleicht gar hinderlich?

Bjørndalen: Das ist meine Stärke, aber auch meine Schwäche. Man muss schon einen gewissen Drang nach Perfektionismus haben, um im Sport etwas zu erreichen. Zu verbissen darf man aber auch nicht sein, muss zugleich eine gewisse Lockerheit haben. Diese Balance zu finden, war für mich sehr schwierig.

Sie haben mal gesagt, das perfekte Rennen ist Ihnen wichtiger als eine Medaille. Perfektes Rennen hin oder her. Geht es letztlich nicht nur um das Gewinnen, und der Zweite ist erste Verlierer?

Bjørndalen: Der Leistungssport ist sehr hart und sehr zynisch geworden. In Norwegen zählt kein Podium mehr, man muss gewinnen. Ein zweiter oder dritter Platz - das heißt bei uns: man war dabei, aber das ist kein gutes Resultat mehr. Auch die Medien entwickeln sich sehr in diese Richtung. Man muss das akzeptieren, aber das ist nicht schön.

Doping ist auch im Biathlon immer wieder Thema. Kann man dagegen überhaupt etwas tun oder resigniert man irgendwann?

Bjørndalen: Doping macht den Sport kaputt. Man sollte Doping mehr kriminalisieren, als Straftat sehen. Nicht nur die WADA sollte ermitteln, sondern in den Ländern müssten auch die lokalen Behörden viel mehr machen und das strafrechtlich verfolgen. Doping ist ein riesiges Geschäft, einzelne Athleten haben große Vorteile, aber auch Verbände und Ärzte. In Italien ist Doping jetzt strafbar und wird gerichtlich verfolgt. Das ist sehr wichtig und richtig. Und es ist sehr schade, dass das nicht mehr Länder machen.

Ist Martin Fourcade der neue König der Biathleten?

Bjørndalen: Er ist der beste Athlet seit den letzten vier, fünf Jahren. Logisch ist er mein Nachfolger, er hat in letzter Zeit alles gewonnen und ist unbestritten der beste Athlet. Was er macht, ist außergewöhnlich. Er hat alles, was ein Top-Biathlet braucht. Ich bin sehr beeindruckt von ihm und seinen Leistungen.

In Oslo und in Hamburg hat die Bevölkerung zuletzt eine mögliche Olympia-Bewerbung zu Fall gebracht? Hat Sie das überrascht?

Bjørndalen: Ich finde es sehr schade, dass die Deutschen und die Norweger Nein zu Olympia gesagt haben. Olympische Spiele waren immer mein größtes Ziel, seit ich ein kleiner Junge war und das gilt auch für so viele andere Athleten. Für mich sind Norwegen und Deutschland die beiden größten Nationen im Wintersport. Und wenn die Nein sagen, bedeutet das, dass das Volk sich gegen Olympia entschieden hat und damit auch gegen das Internationale Olympische Komitee IOC. Es gibt sicher noch viele Sachen, die das IOC ändern kann und auch muss.

Steckt Olympia, steckt das IOC in der Krise? Weil es gefühlt nur noch um Kommerz statt Sport geht?

Bjørndalen: Sicher hat das IOC nicht alles perfekt gemacht, und es gibt sehr viel Politik, sehr viele verschiedene Interessen drum herum. Aber sie haben schon große Veränderungen auf den Weg gebracht und das finde ich sehr gut, das ist ein positiver Weg. Ich glaube auch, dass die Bürger nicht genug darüber informiert sind, was das IOC alles macht, wie viel Geld zurück in den Sport fließt. Es gibt viele gute Sachen seitens des IOC, aber logischerweise auch die negativen Seiten. Und die werden von den Medien immer mehr in den Mittelpunkt gestellt als der Sport.

Sie werden wohl kein Olympia mehr als aktiver Biathlet erleben. Was wünschen Sie sich für Ihr Leben nach dem Sport?

Bjørndalen: Wenn die Zeit kommt, möchte ich natürlich eine Familie gründen und auch Kinder haben, das ist mein Wunsch. Ich werde auch dem Biathlon-Sport ganz sicher verbunden bleiben. In welcher Form, das wird die Zeit zeigen. Aber es gibt sicher spannende Projekte.

Wären Sie ein guter Trainer oder eher ein guter Funktionär?

Bjørndalen: Ich denke, ich könnte ein guter Ratgeber sein. Ob ich ein guter Trainer wäre, das weiß ich nicht. Sofort nach meiner Karriere wäre das ohnehin keine Option. Da braucht man erst ein bisschen Abstand, um sich ein großes Bild von der ganzen Sache zu machen.

Wovon träumen Sie noch?

Bjørndalen: Ich habe viele meiner Träume erfüllt, einen konkreten Traum habe ich im Moment nicht. Derzeit fokussiere ich mich voll auf die WM in Oslo. Dann werde ich schauen, was meine nächsten Ziele sind und ob ich sie erreichen kann.