Die letzte WM-Entscheidung und Skisprung-Goldgewinner Domen Prevc gerieten im Anzug-Chaos von Trondheim völlig zur Nebensache. Stattdessen herrschte maximale Verwirrung und ein auf offener Bühne ausgetragener Streit, der dem Weltverband Fis und der gesamten Sportart auch nachhaltig mächtig schaden dürfte.
Nationen-Trio fordert drastische Konsequenzen
Hintergrund ist ein anonym aufgenommenes und verbreitetes Video, das offenbar eine zweifelhafte Bearbeitung der norwegischen Anzüge zeigen soll. Nach Ende des Wettbewerbs disqualifizierte die Fis die beiden norwegischen Weltklassespringer Marius Lindvik und Johann André Forfang. Lindvik hatte eigentlich Platz zwei belegt und Silber gewonnen.
Zuvor hatten die drei Topnationen Österreich, Slowenien und Polen gegen eine Starterlaubnis der Norweger beim Einzel auf der Großschanze protestiert. Das Nationen-Trio wollte die Norweger nicht nur ausschließen, sondern beantragt offenbar auch eine Annullierung aller WM-Ergebnisse in Trondheim. Der Deutsche Skiverband (DSV) unterschrieb den Protest zwar nicht, bat den Weltverband in einem Brief aber explizit um Klarstellung.
Fis-Rennleiter Sandro Pertile erklärte, dass weitere Disqualifikationen für vergangene Wettbewerbe nicht zu erwarten seien. „Im Prinzip nicht. Wir haben ein System - wenn die Kontrolle fertig ist, ist sie fertig“, sagte der sichtbar wütende Funktionär in der Interview-Zone, in der er anders als sonst alle Stationen bedienen musste. Das Video der Norweger sei demnach erst vergangene Nacht aufgenommen worden.
Skisprung-Bundestrainer empört
„Ich habe ein paar Dinge gesehen, wo eine Nation wilde Dinge macht, die völlig untendurch sind. Man kann das nicht unter den Teppich kehren. Die verantwortlichen Leute müssen reagieren“, hatte Bundestrainer Stefan Horngacher zuvor in der ARD geschimpft. Für Rennleiter Pertile ist das nicht nur ein Thema für seine Fis. „Wir müssen in Ruhe die Situation klären. Das ist ein Thema für die ganze Skisprung-Familie, nicht nur für eine Mannschaft“, sagte der Italiener.
Materialkontrolleur Christian Kathol hatte vor dem Wettbewerb noch gesagt, alle Anzüge seien kontrolliert und für regelkonform befunden worden. Der Norweger Kristoffer Eriksen Sundal wurde dann nach dem ersten Sprung doch disqualifiziert - Lindvik und Forfang ereilte nach Wettkampfende das gleiche Schicksal.
Wer hat wie und wann was gemacht? Vieles an diesem denkwürdigen Skisprung-Tag von Trondheim blieb zunächst im Vagen. Dass der Slowene Prevc und nicht Lindvik beim Springen triumphierte, entspannte die Lage kaum bis gar nicht - denn die nachträgliche Disqualifikation sorgte für mächtig Wirbel. Der Österreicher Jan Hörl gewann Silber statt Bronze, Ryoyu Kobayashi aus Japan rutschte unverhofft noch auf den Bronze-Rang. Philipp Raimund landete nach den Streichungen auf Platz fünf.
Wellinger: „Mir ist es am Ende eigentlich auch zu blöd“
Der sonst so diplomatische Horngacher sprach in ruhigem Ton Klartext. „Es sind Dinge passiert, die völlig inakzeptabel sind. Es gibt Limits und die Limits sind komplett überschritten worden. Es ist schwierig für den Skisprung. Es gibt leider Gottes immer wieder Leute, die diese Dinge immer wieder überspannen“, sagte der Österreicher. Sportdirektor Horst Hüttel sagte, die Argumente der Norweger werden „von allen führenden Anzugexperten zerlegt - komplett“.
Das Anzug-Thema schwelte im Lauf der WM immer wieder. ARD-Experte Sven Hannawald übte scharfe Kritik an auffällig großen Anzügen, polnische Medien attackierten auf der Normalschanze Karl Geiger. „Mir hat man auf der kleinen Schanze auch was vorgeworfen, was ich überhaupt nicht in Ordnung fand. Das minimiert die sportliche Leistung“, monierte ein spürbar getroffener Geiger.
Von den Sportlern wurde der Protest inhaltlich weitgehend ferngehalten. Olympiasieger Andreas Wellinger erfuhr erst nach dem Wettbewerb von dem Eklat und sagte spontan: „Mir ist es am Ende eigentlich auch zu blöd. Mir geht das Thema nur auf die Nerven. Anzüge, Bindungen: Können wir uns bitte auf Skispringen konzentrieren? Der Beste soll gewinnen und nicht der, der am besten bescheißt.“
„Absolut skurrile Videos“ im Umlauf
Wellinger hatte vor knapp einer Woche WM-Silber hinter Lindvik gewonnen und könnte nun nachträglich zum Weltmeister erklärt werden. Der 29 Jahre alte Bayer forderte nach seinem achten Platz im Großschanzeneinzel unmissverständlich: „Wenn einer bescheißt, gehört er rausgeschmissen.“ Inhaltlich könne er sich zur Anklage bezüglich der norwegischen Anzüge nicht äußern.
Der deutsche Verband erhofft sich nun eine Antwort von der Fis auf den Brief. „Wir sehen einen erheblichen Aufarbeitungsbedarf. Es gehen hier Videos rum, die absolut skurril sind. Man muss prüfen: Wo kommen die her, wer hat die gemacht? Wir fordern die Fis ganz klar zur Aufklärung der Situation auf“, sagte Hüttel.
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