Analyse: Alarm wegen „Fangprämien“ pünktlich zum Ärztetag

Nürnberg/Berlin (dpa) - Der Ärztepräsident ist sauer. „Das riecht“, sagt Frank Ulrich Montgomery nach seiner Rede zur Eröffnung des Deutschen Ärztetags im Foyer des Nürnberger Opernhauses.

Was den Chef der Bundesärztekammer nervt: Zeitgleich hat soeben der Spitzenverband der Krankenkassen Alarm geschlagen, fast jede vierte der unter enormen Konkurrenzdruck stehenden Kliniken in Deutschland zahle „Fangprämien“ für die Überweisung von Patienten. Am Pranger stehen neben den Kliniken die Ärzte, Sanitätshäuser, Hörgeräte-Akustiker oder auch Orthopädie-Schuhmacher.

Gernot Kiefer vom Vorstand des Kassenverbands meint, sinnvoller Wettbewerb sei unter tendenziell von Korruption geprägten Bedingungen nicht mehr möglich. Vor den Delegierten sagt Montgomery: „Das ist platte Polemik. Das ist nur der Versuch, unsere Eröffnungsveranstaltung zu stören.“ Der Beifall der Ärzte ist ihm sicher. Die Ärzte sehen Bedrohungen von ganz anderer Seite: Wer die Mediziner durch zu viele Vorschriften auch gegen Korruption gängeln wolle, töte die Therapiefreiheit.

Tatsächlich verfolgt Montgomery das Thema „Fangprämien“ schon länger. Schon 2009 sorgten sie für Schlagzeilen. Damals trieb er noch als Kammer-Vize die Einrichtung von Clearingstellen zur Prüfung solcher Vorgänge voran. „Wir sind uns einig, dass für Bestechung und Korruption kein Platz sein darf.“ Was sind die neuen Fakten?

Laut der Studie im Kassen-Auftrag haben 46 Prozent der nichtärztlichen Leistungserbringer zugegeben, schon einmal Geld oder Sachleistungen erhalten zu haben. 19 Prozent der befragten Ärzte gaben an, das Zuwendungs-Verbot nicht zu kennen. 52 Prozent der Ärzte und 53 Prozent der anderen Gesundheitsanbieter meinen, es drohten eh kaum Sanktionen.

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) stellt klar: „Wenn ein Arzt gegen Entgelt in Kliniken zuweist, muss das geahndet werden.“ Fälle könnten die Kassen aber schon heute melden - den Ärzten könne dann sogar die Zulassung entzogen werden.

Für Experten ist die Umfrage keine Überraschung - harte Fakten über die Bestechlichkeit von Ärzten liefert sie nicht. Hardy Müller, Geschäftsführer des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, meint: „Es bringt auf Dauer wenig, Missstände immer wieder zu skandalisieren. Wir müssen die Lage nachhaltig verbessern.“

Müller verweist auf die ungenannten Ärzte, die im „Zeitmagazin“ an die Öffentlichkeit gegangen sind - mit Berichten über Entscheidungen in Kliniken, bei denen Mediziner aus ökonomischem Druck und gegen besseres Wissen eine Heilung von Patienten aufs Spiel setzten. Ein Grund für teils skandalöse Fehlentwicklungen: der Wettbewerbsdruck. Gerade kleine Häuser arbeiten oft am Rande der Insolvenz - doch Landkreise, Städte und Länder wehren sich oft gegen effizientere Strukturen unter Aufgabe einzelner Häuser.

Ist das Problem der „Fangprämien“ groß? Die Kassen gehen von einer erheblichen Dimension aus - Montgomery meint: In den Clearingstellen seien am Ende von Prüfungen nur wenige Vorwürfe übrig geblieben. Fakt ist aber, dass auch die Ärzte auf ihrem Hochamt Ärztetag eindringlich vor Ökonomisierung warnen - vor dem Zwang zu Entscheidungen, die nicht alleine am Patientenwohl ausgerichtet sind.

Sind Reformen nötig? Die Politik auf Bundesebene hat sich im Ringen um modernere Kliniken schon öfter die Zähne an den Ländern ausgebissen. Patientenschützer Hardy Müller meint aber, wachsende Aufmerksamkeit für Missstände könne einen Weckruf bei Ärzten und Kliniken hervorrufen - und letztlich die Patienten von morgen schützen.

In den Hintergrund tritt die große Debatte, mit der der Ärztetag erstmals grundlegend Position beziehen will. Denn eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl machen die Mediziner Front gegen Rezepte der SPD, der Grünen und der Linken zur Zukunftssicherung der Krankenkassen. Die Bürgerversicherung für alle wollen die Ärzte nicht, die mächtig unter Druck stehende private Versicherung wollen sie wie Minister Bahr behalten.