Analyse: Angst vor kaukasischem Terror
Moskau (dpa) - Ein neues Blutbad mit mehr als 30 Toten in Moskau schürt bei vielen Russen - und auch im Kreml - wieder Ängste vor einer Terror-Serie. Immer wieder haben radikale Islamisten aus dem russischen Konfliktgebiet Nordkaukasus gedroht, den Terror in die Hauptstadt zu tragen.
Dorthin, wo viele Bürger längst keine Notiz mehr davon nehmen, dass in den Teilrepubliken Tschetschenien, Dagestan und Inguschetien fast täglich Menschen bei Kämpfen sterben.
Mit dem Anschlag auf dem Flughafen Domodedowo hat sich der Terror ins Gedächtnis vieler Russen zurückgebombt. Erst vor zehn Monaten, Ende März 2010, hatten Selbstmordattentäterinnen bei einem Doppelanschlag in der Moskauer Metro 40 Menschen in den Tod gerissen. Die Islamistenführer werfen dem Kreml eine blutige Besatzungspolitik im Nordkaukasus vor und untermauern mit diesem Terror ihre Forderung nach Unabhängigkeit.
Sichtlich erschüttert und mit leiser Stimme gab Kremlchef Dmitri Medwedew am Montag zu verstehen, dass die Sicherheitslage im Land zu wünschen übrig lasse. Dabei waren nach großen Blutbädern in Moskau immer wieder Anti-Terror-Gesetze verschärft worden. Oft gab es dabei auch Kritik von Menschenrechtlern, die dem Kreml vorwerfen, solche neuen Regeln zur Unterdrückung Andersdenkender zu nutzen.
Anders als sonst steht Russland nun aber zusätzlich international unter Druck. 2014 sollen in Sotschi am Schwarzen Meer die Olympischen Winterspiele ausgerichtet werden - also in Nachbarschaft zu den Konfliktgebieten. Und für 2018 bekam Russland den Zuschlag zur Ausrichtung der Fußball-WM.
Wie stets, wenn die größte Stadt Europas von einem Terroranschlag erschüttert wird, müssen sich viele der mehr als zehn Millionen Einwohner auf schärfere Sicherheitsvorkehrungen einstellen. Metalldetektoren an Einkaufszentren und in Kultureinrichtungen gehören seit langem zum Alltag der Moskauer. Anschlagsziele waren außer der Metro auch schon ein Markt, ein Musicaltheater und Wohnhäuser.
Weil es nun einen der drei internationalen Flughäfen traf, fühlten sich viele Russen an die Anschläge Schwarzer Witwen erinnert, die 2004 zwei Flugzeuge in die Luft sprengten. Die mutmaßlichen kaukasischen Terroristen suchten sich diesmal den Ankunftsbereich des Airports Domodedowo aus, um ihre Bombe mit Metallteilen zu zünden - einen weniger stark gesicherten Bereich auf dem Airport.
Medwedew kündigte prompt eine neue Sicherheitsdebatte für Russland an. Für ihn geht es vor der Dumawahl im Dezember und seiner möglichen Kandidatur bei der Präsidentenwahl 2012 um viel. Bislang sei es ihm nicht gelungen, die Lage im Nordkaukasus zu stabilisieren, sagte der Moskauer Politologe Alexej Malaschenko vom Carnegie Zentrum unlängst.
Nach Medienberichten starben im Nordkaukasus im vergangenen Jahr knapp 800 Menschen - so viele wie seit Jahren nicht mehr, darunter neben den Islamisten auch viele kremltreue Kräfte und Zivilisten. Experten kritisieren seit langem, dass dem Kreml die Lage dort zunehmend außer Kontrolle gerät.
Zwar pumpen Medwedew und Regierungschef Wladimir Putin Milliarden in die verarmte Region, um vor allem der für den Radikalismus anfälligen Jugend mit Jobs eine Perspektive zu geben. Doch immer wieder werfen die Behörden den internationalen Terrornetzwerken wie Al-Kaida vor, die Islamisten im Nordkaukasus zu finanzieren. Einer der Rebellenführer, der Tschetschene Doku Umarow, will dort ein Kaukasus-Emirat gründen - ohne Einfluss aus Moskau.
Weil jetzt schon in Russland der Wahlkampf anläuft, werden wie stets bei solchen schweren Schlägen für die Machtzentrale Verschwörungstheorien die Runde machen. Immer gerieten mitunter Geheimdienstler oder Teile des Innenministeriums selbst in den Verdacht, Anschläge zu initiieren, um so Gewalt zu rechtfertigen und ihre Macht zu sichern. Der Kreml aber wies dies stets als Unfug zurück.