Analyse: Der Countdown für Griechenland läuft

Athen (dpa) - Rettung oder „Game over“? Bekommt Griechenland kein frisches Geld, dann kann der Staat im März seine Schulden nicht bezahlen. Gleichzeitig wird die Lage der Bevölkerung immer dramatischer.

„Für uns hat der Countdown begonnen“, sagt ein Mitarbeiter des Finanzministeriums in Athen der Nachrichtenagentur dpa. Von allen Geldgebern komme die gleiche Botschaft: Diesmal ist es das letzte Mal. Griechenland muss alle Reformen umsetzen und noch härtere Maßnahmen treffen - sonst gibt es kein Geld mehr. „Sie sagen es uns offen: Sie könnten auch ohne uns im Euroland leben“, sagt der Mann aus dem Finanzministerium.

Auch Ministerpräsident Lucas Papademos erklärt seinen Gesprächspartnern regelmäßig den Ernst der Lage. Eine unkontrollierbare Zahlungsunfähigkeit würde katastrophale Folgen haben. Doch genau die ist in Sicht: Im März muss Athen 14,4 Milliarden Euro an seine Gläubiger zahlen. Aber in den Kassen ist kein Cent dafür vorhanden. Kommt kein frisches Geld von den anderen Euro-Staaten und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), ist Griechenland pleite.

Einen solchen Tanz auf dem Vulkan hat es in den vergangenen zwei Jahren immer wieder gegeben. Nur diesmal ist die Lage deutlich ernster: Während Papademos Ordnung im eigenen Haus schaffen muss, kämpft und verhandelt er gleichzeitig mit Griechenlands privaten Gläubigern, also Banken und Hedge Fonds, um den überlebensnotwendigen Schuldenschnitt von 50 Prozent zu sichern. Der ist Voraussetzung, damit das neue Hilfspaket von 130 Milliarden Euro überhaupt aufgelegt wird.

Entsprechend dramatisch betiteln die Athener Zeitungen das drohende Szenario: „Ultimatum“, „Das Ende naht“, „Game over, wenn nicht jetzt etwas unternommen wird“. Sogar das Tabuwort der alten Währung Drachme und ihre Wiedereinführung sind mittlerweile in aller Munde. Meist aber mit dem erklärenden Satz: „Nie wollen wir dahin zurück.“ Über 70 Prozent der Griechen sind für den Euro. Aber populistische Blätter meinen angesichts ergebnisloser Sparprogramme, nur die Rückkehr zur Drachme könne Griechenland retten.

Und tatsächlich wird die Lage für die Bürger unerträglich: Die beiden größten Gewerkschaftsverbände haben ausgerechnet, dass die Griechen in den vergangenen zwei Jahren rund 40 Prozent ihres Einkommens verloren haben. Die Arbeitslosigkeit liegt über 18 Prozent - und steigt weiter. In den Arbeitervierteln von Athen organisieren sich die Menschen mit Hilfe der Kirche und humanitärer Organisationen, weil der Staat nichts mehr für sie tun kann. In fast allen Supermärkten können Kunden an Sammelstellen Lebensmittel für Bedürftige abgeben. Mehr als 200 Tonnen kamen allein zwischen Weihnachten und Neujahr zusammen. Damit konnte über 250 000 Menschen geholfen werden.

Die Orthodoxe Kirche schätzt, dass mehr als 20 000 Menschen obdachlos geworden sind. Und Hunderte Migranten aus asiatischen und afrikanischen Staaten vegetieren dahin, weil sie als erste keine Arbeit mehr finden. Viele von ihnen ernähren sich aus Mülleimern. „Das Land bricht auseinander. Ich kann es nicht mehr sehen“, sagt eine Deutsche, die seit 1982 in Griechenland lebt.

Und trotz der harten Sparprogramme ist es Athen nicht gelungen, die von Europäischer Union, IWF und Europäischer Zentralbank (EZB) gesetzten Ziele zu erreichen. 2011 dürfte das Defizit nach letzten Schätzungen der Bank von Griechenland zweistellig sein und um 10,2 Prozent liegen. Ziel waren 7,8 Prozent. Im selben Zeitraum schrumpfte die Wirtschaft um fast sechs Prozent. 2012 dürfte sie - zum fünften Mal in Folge - um weitere rund drei Prozent zurückgehen. Vom erhofften Wachstum ist nichts zu sehen.

Gleichzeitig fordert die Gläubiger-Troika aus EU, IWF und EZB, dass Griechenland wettbewerbsfähig werden muss. Deswegen wird nun auch der Mindestlohn gedrückt - die Rede ist von 566 statt 751 Euro. Die 13. und 14. Monatsgehälter sollen gekürzt oder ganz gestrichen werden. Abstriche dürfte es erneut auch bei den Renten geben. Mit einem neuen Gesetz soll die Steuerhinterziehung bekämpft werden.

Wenig Erfolg hatte die geplante Verschlankung des Staatsapparats: Bis zum 31. Dezember sollten 30 000 Staatsbedienstete gehen, bislang wurden aber nur 2000 entlassen. Durch die chaotischen Zustände konnte man nicht feststellen, wer überflüssig ist und wer nicht. Bis 2015 sollen 150 000 Angestellte entlassen werden.