Analyse: Der Schicksalstag des Ulrich H.

München (dpa) - Eine Nacht zwischen Hoffen und Bangen dürfte hinter Uli Hoeneß liegen, wenn er an seinem Schicksalstag den Münchner Justizpalast betritt. Der Übervater des FC Bayern war auf dem besten Weg, eine moralische Instanz in Deutschland zu werden.

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Nun droht ihm Gefängnis.

Es gibt unzählige Fotos von Uli Hoeneß. Schimpfend in Interviews, in unbändiger Freude jubelnd auf der Tribüne, weinend auf der Hauptversammlung des FC Bayern, seines Vereins. Und es fällt schwer, diese Bilder mit dem Mann in Einklang zu bringen, der seit Anfang der Woche als Steuersünder Ulrich H. auf der Anklagebank im Münchner Justizpalast sitzt.

Wenn es um die Zukunft des FC Bayern ging, war Hoeneß der vielleicht emotionalste Funktionär im deutschen Fußball. Wer seinem Verein zu nahe trat, der zog sich seinen unerbittlichen Zorn zu. Jetzt geht es um sein eigenes Schicksal - und der Bayern-Boss ist kaum wiederzuerkennen.

In seinem Prozess um Steuerhinterziehung in schwindelerregender Höhe begegnet die Öffentlichkeit einem Hoeneß, wie er wohl nie zuvor zu sehen war - zurückhaltend und leise, betont demütig und streckenweise beinahe apathisch. Es scheint fast so, als lähme den 62-Jährigen die Aussicht auf das, was ihm nach dem Urteilsspruch an diesem Donnerstag möglicherweise droht: eine Gefängnisstrafe wegen der Hinterziehung von 27,2 Millionen Euro Steuern. Die Summe übertrifft die Vorwürfe in der Anklage um weit mehr als 20 Millionen Euro.

An den drei Tagen der Beweisaufnahme hat sich die Verhandlung zu einem der spektakulärsten Steuerprozesse in Deutschland entwickelt. Eine unglaubliche Zahl jagte die andere. Und in einem Punkt waren sich viele Prozessbeobachter und Experten nach dem Abschluss der Beweisaufnahme einig: Hoeneß steht vor dem Urteilsspruch mit mehr als einem Bein im Gefängnis. „Ich glaube nicht, dass es für Hoeneß noch enger kommen kann“, meinte etwa die „Spiegel“-Justizexpertin Gisela Friedrichsen.

Die Verteidigung betont, sie halte trotz der jetzt bekanntgewordenen Summen an der Gültigkeit von Hoeneß' Selbstanzeige fest. Die Zahlen, die das ganze Land schockten und dafür sorgten, dass Politiker den Rücktritt des Bayern-Bosses forderten, seien bereits in der Selbstanzeige von 2013 vorhanden gewesen, meinen die Anwälte.

Dafür überschlug sich das Verteidigerteam um Staranwalt Hanns W. Feigen aber nicht gerade, für den Mandanten in die Bresche zu springen oder gar auf Konfrontationskurs zur Kammer zu gehen. „Die Zahlen hält die Verteidigung für sachgerecht, da zweifeln wir nicht dran“, sagte Feigen fast lapidar zur Megasumme, die eine Rosenheimer Steuerfahnderin vorgelegt hatte. Sie hätten die Verteidigung, die noch am Tag zuvor ganze neun Millionen weniger eingeräumt hatte, auch keineswegs überrascht. „Wir sind ja nicht dämlich!“

Als Feigen am ersten Prozesstag seinem berühmten Mandanten barsch über den Mund fuhr und ihn zurechtwies, machte das Schlagzeilen. Welche Strategie die Verteidigung damit verfolgt, könnte vielleicht bei den für diesen Donnerstag geplanten Plädoyers aufgehen.

Hoeneß' Wegbegleiter Franz Beckenbauer ist gespannt: „Im Moment schaut's vielleicht nicht ganz so gut für den Uli aus, aber ich habe bislang noch keine Verteidigung gesehen“, sagte der Bayern-Ehrenpräsident im Pay-TV-Sender Sky. „Die Angreifer haben die Fakten offengelegt, haben mehr oder weniger ihr Pulver verschossen. Jetzt liegt es an der Verteidigung, diese Punkte zu klären.“

Der Kommentator der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl, früher selbst Richter, vermutet einen Deal. „Bei der jetzigen Summe soll der Deckel drauf auf das Steuerstrafverfahren“, schreibt er. „Noch mehr soll nicht herauskommen, es soll nicht weiter recherchiert, es soll nicht weiter geforscht, es soll nicht weiter ermittelt werden.“

Die Vermutung: Die Summe, die Hoeneß dem Finanzamt schuldet, könnte noch deutlich über den 27,2 Millionen liegen. Die Rosenheimer Finanzbeamtin hatte betont, es handle sich um eine „Best Case“-Berechnung, eine Rechnung zugunsten des Bayern-Bosses. Ob Hoeneß mit einer Bewährungsstrafe davonkommt, scheint dennoch mehr als fraglich.

Dass die Verteidigung nur noch versuchen kann, zu retten, was vielleicht gar nicht mehr zu retten ist, dieser Eindruck zog sich durch die komplette Verhandlung. Nur selten stellte einer von Hoeneß' drei Anwälten eine Frage. Und wenn, dann wirkte das ab und an wie eine Verzweiflungstat.

Hoffen kann Hoeneß wohl nur auf die Milde von Richter Rupert Heindl. Folgt das Gericht der Argumentation der Verteidigung und erkennt die Selbstanzeige doch noch an, was als unwahrscheinlich gilt, dann könnte das Verfahren eingestellt werden. Wahrscheinlicher aber ist ein anderes Szenario: Der Präsident des FC Bayern, ein verurteilter Straftäter.