Analyse: Deutsche Wirtschaft wittert Milliarden-Geschäfte
Berlin/Teheran (dpa) - Diesem Moment haben viele Menschen im Iran, aber auch deutsche Unternehmen und Politiker lange entgegengefiebert: Nach einem Jahrzehnt der Abschottung wegen der Atom-Sanktionen darf Teheran wieder weltweiten Handel treiben und seine Wirtschaft öffnen.
Nicht zuletzt die Deutschen, die vor dem Erlass der Zwangsmaßnahmen infolge des iranischen Nuklearprogramms einer der wichtigsten Partner des Schwellenlandes waren, erwarten Milliarden-Geschäfte. Wie rasch lässt sich der Riesenmarkt zum Nutzen beider Seiten aber erschließen?
Eines ist klar: Der Nachholbedarf des Iran ist enorm. Das grüne Licht der Atomenergiebehörde IAEA vom Samstagabend in Wien öffnet eine Ökonomie mit 80 Millionen Menschen. Die Startchancen für Deutschland gelten dabei als gut. Schon im vorigen Sommer war Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel als einer der ersten westlichen Politiker zu Besuch in Teheran - begleitet von einer großen Unternehmer-Delegation.
Jetzt sei die Zeit reif für frische Geschäfte, sagte der SPD-Chef am Sonntag in Berlin. Es eröffne sich „die Möglichkeit, ein neues Kapitel in den deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen aufzuschlagen“. Im Mai werde eine gemeinsame Kommission beider Länder in Teheran tagen, die er mit seinem Amtskollegen Ali Tayebnia leite.
Eine schnelle Wiederbelebung der Kontakte sei nötig, betonte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Volker Treier. „Dann ist für deutsche Unternehmen mittelfristig ein Geschäftsvolumen von fünf Milliarden Euro drin; langfristig sind zehn Milliarden Euro Exportvolumen durchaus realistisch.“ Erneuern müsse der Iran vor allem seinen Maschinenpark, den Fahrzeugbau, die Baustoff-Industrie, das Wassermanagement, die Abfallwirtschaft, das Energiesystem und die Gesundheitsbranche. „Nach mehr als zehnjähriger Eiszeit fällt nun ein wichtiges Stoppschild.“
Überschatten könnte dies jedoch ein Trend, der weltweit inzwischen genauso viel Sorgen wie Freude auslöst: der Einbruch der Ölpreise. Was Autofahrer oder Heizölkunden jubeln lässt, verschlimmert die Lage der Förderländer - Teheran ist ein Schwergewicht im Ölkartell Opec.
Stürzt der Preis für das „schwarze Gold“ weiter ab, so fürchten viele, könnten ein geschröpfter Staatshaushalt und eine schwächere Nachfrage im Iran auch auf die Exporte dorthin durchschlagen. „Die Aufhebung der Sanktionen kommt für den Ölmarkt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt“, sagt Commerzbank-Rohstoffexperte Eugen Weinberg. Sein Kollege Heiko Peters von der Deutschen Bank spricht von einem „extrem schwierigen Umfeld“. Und der Chef des Mineralölwirtschaftsverbands, Christian Küchen, mahnte bereits im August: „Die Entwicklung im Iran bleibt die große Frage.“
Doch insgesamt überwiegt die Zuversicht. „Der Iran hat ausreichende Rücklagen und ist solvent. Ersatzinvestitionen sind angesichts veralteter Anlagen dringend erforderlich“, meint der Sprecher des Bundesverbandes Groß- und Außenhandel (BGA), André Schwarz. Der BGA prognostiziert einen Anstieg des Ausfuhrvolumens von 2,4 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf bis zu 10 Milliarden Euro in den nächsten vier bis fünf Jahren. „Wir rechnen uns erhebliche Chancen aus.“
Besonders die Maschinenbauer haben sich in Stellung gebracht. „Es gilt, die Chancen im Iran zu nutzen“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands VDMA, Thilo Brodtmann. Mitmischen wollen zudem Autobauer wie Volkswagen, Audi, BMW oder Daimler, die sich offiziell noch bedeckt zu ihren Iran-Plänen halten. Auch die Logistikbranche hat großes Interesse. „Es gibt so etwas wie Goldgräberstimmung“, sagte Schenker-Manager Michael Dietmar der Deutschen Presse-Agentur zum Jahreswechsel. „Iran ist für uns ein hochinteressanter Markt.“
Das war auch früher einmal so. In den 1970er Jahren lag der Iran laut DIHK für die deutsche Wirtschaft als zweitwichtigster Exportmarkt außerhalb Europas hinter den USA. Dann schrumpfte die Bedeutung stetig: 2005 vor den Sanktionen habe das Land Waren „made in Germany“ im Wert von 4,4 Milliarden Euro importiert, 2014 seien es weniger als 2,4 Milliarden gewesen - Rang 50 der deutschen Handelspartner.
Hoffnungsträger könnte auch die Landwirtschaft sein. Agrarminister Christian Schmidt (CSU) kündigte auf der Grünen Woche in Berlin den Aufbau direkter Geschäftsbeziehungen mit Teheran an; er sieht ebenfalls ein neues Kapitel im Verhältnis. Die Flugzeugindustrie preschte bereits vor: Nach Angaben von Irans Transportminister Abbas Achundi orderte das Land inzwischen 114 Airbus-Maschinen.
Entscheidend aus deutscher Sicht ist aber eine sichere Finanzierung. Nötig seien Zusagen, dass Kreditinstitute nicht in den USA belangt werden, wenn sie Iran-Geschäfte begleiten, sagte Treier. Der VDMA ermutigt die Geldhäuser: „Die Banken müssen sich jetzt bewegen.“
Wie teuer Ärger mit den USA werden kann, erlebte die Commerzbank. Sie musste für einen Vergleich 1,45 Milliarden Dollar hinblättern, um ein Geldwäsche-Verfahren beizulegen. „Sanktionen, die Banken betreffen, müssen aufgehoben werden“, fordert daher der deutsche Bankenverband.