Analyse: Die SPD und der unvollendete Doppelpass
Berlin (dpa) - Sigmar Gabriel hat dafür gesorgt, dass der SPD-Vorstand nun auch ein Mitglied mit afghanischen Wurzeln hat. Nachdem es seit 2011 mit Aydan Özoguz schon die erste stellvertretende Parteivorsitzende mit türkischem Hintergrund gibt.
Als Homaira Mansury im ersten Wahlgang noch durchfiel, machte sich der SPD-Chef beim Parteitag in Leipzig persönlich für sie stark. Im zweiten Wahlgang klappte es dann.
Die 35-jährige Mansury ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, ihre Eltern stammen aus Kabul. Nun ist die Würzburgerin ein prominentes Gesicht für das Ringen der SPD um den Doppelpass in den Verhandlungen mit der Union. „Ich werde der SPD keinen Koalitionsvertrag vorlegen, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht drin ist“, betont Gabriel. Warum ist der SPD das Thema so wichtig, dass sie anscheinend daran eine große Koalition scheitern lassen würde?
Da ist zum einen das unvollendete rot-grüne Projekt eines neuen Staatsbürgerschaftsrechts, das 2000 zwar in Kraft trat. Aber die generelle doppelte Staatsbürgerschaft konnte nicht durchgesetzt werden. Denn Rot-Grün hatte die Mehrheit im Bundesrat verloren, nachdem Roland Koch (CDU) mit einer Kampagne gegen Doppelpässe die Landtagswahl in Hessen gewonnen hatte.
Daher kam es zum sogenannten Optionsmodell. Alle hier geborenen Zuwandererkinder werden zu Deutschen und behalten zunächst auch die Staatsangehörigkeit der Eltern. Zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr müssen sie aber eine ihrer beiden Staatsangehörigkeiten aufgeben.
Mansury gab daher die afghanische Staatsangehörigkeit auf und entschied sich für die deutsche. „Grundsätzlich denke ich, dass man sich nicht entscheiden müssen sollte, wenn man sich beiden Kulturen zugehörig fühlt und bisher ein unbescholtenes Leben geführt hat“, sagt sie. „Für viele Menschen ist es eine Aufgabe eines Teils ihres Selbst.“
Schon 2008 pochten SPD-Innenpolitiker wie Dieter Wiefelspütz in einer großen Koalition auf die „Reform der Reform“. Gabriel, der in erster Ehe mit einer Türkin verheiratet war, liegt eine aktive Migrationspolitik am Herzen. Auch in der Partei. So sind 15 Prozent der Plätze im Vorstand für Sozialdemokraten mit ausländischen Wurzeln reserviert. Zudem sieht sich die SPD als Anwalt von Migranten - laut Umfragen sympathisieren viele Bürger mit türkischen Wurzeln mit den Sozialdemokraten.
Im Wahlprogramm hieß es: „Deutschland ist ein Einwanderungsland und lebt von seiner Vielfalt, dem Engagement und den Ideen der Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft. Jetzt müssen wir den nächsten Schritt tun und ein Einbürgerungsland werden.“ Daher sollten Kinder, die hier geboren werden, „die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten und behalten“. Die Optionspflicht, die eine Entscheidung für einen Pass bis zum 23. Lebensjahr erzwingt, solle abgeschafft werden.
Vom Entscheidungszwang sind bis 2017 jährlich zwischen 3000 und 7000 junge Frauen und Männer betroffen, darunter sind viele Türken. De facto behalten aber jetzt schon viele zwei Pässe, vor allem Bürger aus anderen EU-Staaten und der Schweiz. Oder aber, wenn man zum Beispiel iranische oder marokkanische Wurzeln hat, weil die Länder sich weigern, ihre Bürger aus der Staatsbürgerschaft zu entlassen.
Die SPD will daher eine Chancengerechtigkeit erzielen - und sieht besonders die Türkische Gemeinde in Deutschland an ihrer Seite, die aber auch von der SPD fordert, jetzt den Doppelpass für alle zu liefern. „Diese Ungleichbehandlung muss ein Ende haben“, sagt der Vorsitzende Kenan Kolat. Seine Frau Dilek ist übrigens aktive SPD-Politikerin - und seit 2011 Integrationssenatorin in Berlin.