Analyse: Die Welt ist keine Blumenwiese

Elmau (dpa) - Wenn Bilder doch nur ausreichen würden. Es wäre eine heile Welt. Die Bundeskanzlerin mit sechs mächtigen Staats- und Regierungschefs von den USA bis Japan auf einer Blümchenwiese.

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Die Männer winken, Angela Merkel steht in der Mitte wie ein Scharnier, um das sich die Gruppe dieser Sieben dreht. Dahinter ein von der Sonne angestrahltes Schloss, eingebettet in hohe Berge.

„Wetter schön, Stimmung schön, alles schön“, lautet eine euphorische Bilanz in Kreisen der Veranstalter des G7-Gipfels im oberbayerischen Elmau unter deutscher Präsidentschaft. Doch Fotos zeigen eben nicht, was fehlt - und wer. In Wahrheit ist die Welt eher hässlich.

Das sind die Gründe: Sterben und Leiden in der Ostukraine. Tod und Flucht im syrischen Bürgerkrieg, Gräueltaten von islamistischen Terrorgruppen im Irak und in Nigeria. Hunger und Elend für mehr als eine Milliarde Menschen. Vermüllung der Meere, Erderwärmung durch Treibhausgase, Ausbeutung der Armen, Unterdrückung von Frauen, und, und, und.

Eine kleine Gruppe, mag sie auch noch so mächtig sein, kann das alleine nicht lösen. Erst recht nicht ohne den russischen Präsidenten. Hat das G7-Format mit seinem gewaltigen finanziellen und organisatorischen Aufwand aber dann überhaupt noch seine Berechtigung? Das hängt von Erwartungen und Ergebnissen ab.

Aus Sicht von Angela Merkel als diesjährige G7-Präsidentin ist das G7-Treffen glattgelaufen: Vor allem keine Gewalt zwischen Polizei und Demonstranten, die friedlich und selbst im strömendem Regen ihre Kritik an Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt anbrachten. Und in der Abschlusserklärung finden sich konkrete Vereinbarungen wieder.

Zum Beispiel: Die Zahl der Menschen, für die es eine Versicherung gegen Klimarisiken gibt (etwa Bauern in von Naturkatastrophen betroffenen Ländern), soll von 100 auf 400 Millionen erhöht werden. Und bis 2030 sollen 500 Millionen Hungernde genügend Essen haben.

Auch nach früheren Gipfel entpuppten sich solche Zahlen oft schon als Schall und Rauch. Zudem besteht ein großer Teil des 21-seitigen Gipfelkommuniqués aus Bekenntnissen, Bekräftigungen, Unterstützungen von bereits vereinbarten und immer noch nicht greifbaren Zielen - wie zur Zwei-Grad-Begrenzung der Erderwärmung.

Und dennoch kann Merkel gerade dies als Erfolg verbuchen, weil das erstens beinahe an Japan gescheitert wäre und zweitens noch das Wörtchen „verbindlich“ eingefügt wurde. Über die Gipfelteilnehmer brach nicht wie oft zuvor Kritik von Nichtregierungsorganisationen und Opposition herein.

Das mag daran liegen, dass Merkel ihre Kritiker nicht provoziert. In rund 15 Minuten zieht sie ihre Gipfel-Bilanz - Punkt für Punkt, sachlich, ohne Jubel, ohne Selbstlob. Das höchste der Gefühle ist noch: „Wir sind auf etlichen Gebieten unserer Verantwortung gerecht geworden durch unsere Beschlüsse.“

Auch das Eingeständnis von Versäumnissen fehlt in dem Gipfeldokument nicht. Gleich am Anfang heißt es zu der nach der internationalen Finanzkrise beschlossenen Finanzmarktregulierung in Diplomatensprache: „Es sind zentrale Reformen vereinbart worden (...). Diese Aufgabe ist jedoch noch nicht abgeschlossen.“ In der Schule wäre das wohl eine Fünf.

Es geht aber noch schlechter: die ungelösten Konflikte mit Russland um die Ukraine und die drohende griechische Staatspleite. Kremlchef Wladimir Putin und Athens Ministerpräsident Alexis Tsipras prägten viele Gespräche des Gipfels - als Elmauer Schlossgespenster, denn sie saßen gar nicht mit am Tisch des elitären Kreises.

Dennoch zogen sich die Probleme mit den beiden wie ein roter Faden durch den Gipfel. Während über das Schuldendrama der Hellenen nun schon bald mehr Klarheit herrschen wird, weil Fristen ablaufen, dürfte das Zerwürfnis mit Moskau eine lange und quälende Angelegenheit werden.

Trotz neuerlicher Drohungen der G7 mit Sanktionen gegen Russland bemühte sich Merkel aber um nüchterne Wortwahl. „Wir setzen auf Kooperation und Zusammenarbeit mit Russland.“ Wieder nennt sie dabei den Syrien-Krieg.

Aber: Putins Vorgehen passe eben derzeit nicht zur Wertebasis der G7. Und passt er in ein anderes Format? „Weitere Formate haben wir nicht ins Auge gefasst“, sagt Merkel nur. Gefehlt hat ihr Putins Kommunikation in Elmau offensichtlich nicht: „Wir sind mit der Arbeitsatmosphäre hier sehr zufrieden gewesen.“

Die Tür für Putin muss aber nicht für alle Zeit geschlossen bleiben. Im nächsten Jahr hat Japan den Vorsitz, das Land, das am weitesten vom Ukraine-Konflikt entfernt ist. Das ist sicher nicht die schlechtesten Voraussetzung, um den Versuch einer Reintegration Russlands zu starten. Aber dazu müsste Russland seine Rolle im Ukraine-Konflikt erheblich ändern.