Analyse: Ein Riesenreich an den Grenzen des Wachstums

Peking (dpa) - Chinas Kommunisten stellen ihre Macht zu Schau. Das riesige Emblem mit Hammer und Sichel wird von roten Bannern flankiert. Es ist die Kulisse für Chinas oberste Führung zum Auftakt der Jahressitzung des Volkskongresses.

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Die Parteikader in ihren schwarzen Anzügen mit den schwarz gefärbten Haaren stehen stramm, als sie die Nationalhymne singen. Aber als Regierungschef Li Keqiang am Donnerstag ans Rednerpult tritt, schlägt die Stimmung um.

Li zeichnet vor den rund 3000 Delegierten ein Bild von gewaltigen Risiken für China: „Chinas Wirtschaftsmodell bleibt ineffizient. Unsere Fähigkeiten zur Innovation sind ineffizient.“ Mehr als eineinhalb Stunden redet er auf die Abgeordneten ein. Er spricht von schockierenden Fällen von Korruption, von einer gravierenden Umweltverschmutzung und der Kluft zwischen Arm und Reich.

Eine kritische Selbstbetrachtung gehört zu den Ritualen zum Auftakt des Volkskongresses. Aber eine so nachdrückliche und erbarmungslose Rede bekommen die Delegierten selten zu hören. Die Lage ist sehr ernst, daran lässt Li keinen Zweifel aufkommen. Mehrfach spricht er vom Abwärtsdruck, unter dem China stehe. Im Jahr zuvor war Chinas Wirtschaft mit 7,4 Prozent so langsam wie seit 24 Jahren nicht mehr gewachsen. Für dieses Jahr gibt Li nur noch ein Wachstumsziel von etwa sieben Prozent aus. Schlimmer noch, Li sagt: „Es wird schwieriger, ein stabiles Wachstum zu halten.“

Das habe gewaltige soziale Auswirkungen. „In diesem Jahr werden 7,49 Millionen Menschen ihren Abschluss an Universitäten machen, das ist neuer Rekord“, sagt Li. Aber nur eine gesunde Wirtschaft könne eine ausreichende Zahl an Arbeitsplätzen liefern. Gleichzeitig müsse die Versorgung von Arbeitslosen verbessert werden. Auch die Alterssicherung und eine Reform des Gesundheitssystems seien drängende Probleme.

Der Abgeordnete Ma Changqing sagt: „Wir müssen unser Wirtschaftsmodell anpassen. Sonst werden wir in große Probleme geraten.“ Die schwache Entwicklung der weltweiten Konjunktur setze auch China unter Druck, meint der Funktionär aus der südchinesischen Stadt Guangzhou. Der Chef des Stahlunternehmens Baoye, Han Wenchen, sagt: „Wenn das Wachstum sich zu schnell verlangsamt, kann das große Auswirkungen auf Unternehmen und Banken haben.“

Es ist ein Balanceakt für die Pekinger Führung. Auf der einen Seite will sie Probleme benennen und Lösungen präsentieren. Auf der anderen Seite hält die Partei trotz aller Modernisierung des Staates an ihrer starren Hierarchie und ihrer Dominanz über alle Gerichte und Behörden hinweg fest. Sebastian Heilmann, Direktor des China-Instituts Merics in Berlin, nennt Pekings Strategie eine Schubumkehr: „Statt einer Liberalisierung sind politisch-ideologische Verhärtungen und eine Marktregulierung zugunsten chinesischer Unternehmen offensichtlich.“

Lis Rezepte gehen in diese Richtung. Zwar ist das Geld ausländischer Investoren willkommen, und mehr Sektoren sollen für internationale Firmen geöffnet werden. Auf der anderen Seite macht Li klar, dass Peking ganz gezielt seine eigenen Unternehmen schützen und antreiben will. Der Premier kündigt an, dass die Regierung gezielt die heimische Wirtschaft bei internationalen Projekten unterstützen will. Ausgestattet mit Geld aus Chinas gewaltigen Devisenreserven sollen sie internationale Märkte erobern.

Aber auch politisch und militärisch setzt Li Zeichen. Der Rüstungsetat wird kräftig aufgestockt. Ungeachtet der Spannungen mit fast allen Nachbarländern im Ostchinesischen und Südchinesischen Meer bekräftigt Li gleichzeitig Pekings Machtansprüche. „China wird seine Rechte und Interesse auf Hoher See mit Nachdruck vertreten“, kündigt der Premier an. China werde seinem Ziel näher rücken, zu einer Seemacht aufzusteigen.