Analyse: Eine große Koalition der Zweifler
Berlin (dpa) - Eine Liebesheirat wäre eine große Koalition sicher nicht. Bei der SPD nähren sie kräftig die Legende, wer mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) regiere, komme gerupft aus so einer Koalition heraus, verliere Landtags- wie Kommunalwahlen in der Zwischenzeit.
Und die CDU kokettiert offen mit Schwarz-Grün. Beides belastet gemeinsame Gespräche - und kann Koalitionsverhandlungen erschweren.
Am Freitag nach der ersten Sondierung betonen beide Seiten aber erstmal die Gemeinsamkeiten. Am 14. Oktober redet man erneut, danach könnte Merkel sagen, ob sie mit SPD oder Grünen über eine Koalition verhandeln will.
In der SPD-Spitze fürchten sie, bei Schwarz-Grün die Ökopartei als Koalitionspartner zu verlieren, etwa wenn ein Bündnis im Bund auch zu Länderkoalitionen führen würde. Zugleich befürchtet die SPD, in einer großen Koalition Profil und Wähler zu verlieren - verwiesen wird auch auf den Absturz der FDP.
Doch ist die FDP nicht primär für nicht eingelöste Versprechen von Steuersenkungen und Personalquerelen abgestraft worden? Und hat nicht die SPD trotz „Regeneration“ in der Opposition gerade erst nur ein geringfügig besseres Ergebnis als 2009 nach der großen Koalition geholt? Die 25,7 Prozent waren nach den 23 Prozent im Jahr 2009 das zweitschlechteste Ergebnis seit 1949.
Eine Analyse der Gründe für das enttäuschende Abschneiden blieb bisher aus. Der Auftrag für einen Politikwechsel, wie ihn etwa Vorstandsmitglied Ralf Stegner formuliert, lässt sich daraus kaum ableiten - eher ist es ein Auftrag an Merkel für ein „Weiter so“.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe vermisst - anders als bei den Grünen - eine selbstkritische Betrachtung. Dies, und das SPD-Lamento über die vier Koalitionsjahre 2005 bis 2009 ist auch eine Hypothek für mögliche Koalitionsverhandlungen. Merkel habe damals die Erfolge der SPD-Minister für sich allein verbucht, meint Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit. Eine solche Entwicklung sei fast systemimmanent bei großen Koalitionen, sagte er der „Berliner Morgenpost“. Seine Lehre: „Es ist wichtig, der größere Partner zu sein und den Regierungschef zu stellen, nur dann profitiert man.“
Doch stimmt das? Die SPD erzielte trotz Juniorrolle auch während der großen Koalition 2005 bis 2009 Zugewinne, etwa 2006 in Berlin und Rheinland-Pfalz (hier gab es eine absolute Mehrheit) und 2008 in Hessen, wo sie 7,6 Punkte zulegte und die CDU 12 Punkte verlor. Und 1969, nach der ersten großen Koalition wurde die SPD dafür belohnt, dass sie als gute Alternative galt, weil sie geschlossen auftrat und überzeugendes Personal aufzubieten hatte. Trotz der Juniorrolle im Bündnis mit CDU/CSU legte die SPD um 3,4 Punkte auf 42,7 Prozent zu - ihr bestes Ergebnis nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Union verlor 1,5 Prozentpunkte, Kanzler Kurt-Georg Kiesinger war abgewählt. Willy Brandt wurde Bundeskanzler der ersten sozial-liberalen Koalition.
Von 2005 bis 2009 machte die SPD nach allgemeiner Einschätzung in der großen Koalition eine gute Arbeit (etwa bei Bewältigung der Finanzkrise, Kurzarbeiterregelungen und Konjunkturprogrammen) - aber ihr Erscheinungsbild war problematisch. Vier Vorsitzende gab es in den vier Jahren. Hinzu kam 2008 ein Glaubwürdigkeitsverlust durch das Agieren von Andrea Ypsilanti in Hessen, die entgegen ihres Wahlkampf-Versprechens eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken schmieden wollte. Und kolossal scheiterte.
Zudem warf SPD-Chef Kurt Beck auf einer Klausur am Schwielowsee das Handtuch, weil er sich bei der Kür von Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten düpiert fühlte. Hinzu kamen die verlorene Europawahl und die Affäre um Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, der der Dienstwagen im Spanien-Urlaub gestohlen wurde. Trotz alledem wird das 23 Prozent-Debakel primär der großen Koalition angelastet.
Bei der CDU werben angesichts der schwierigen Gespräche mit der SPD hinter den Kulissen namhafte Abgeordnete für ein schwarz-grünes Bündnis. Sie glauben, dass die Zeit reif sei für eine solche Art der bürgerlichen Koalition. Merkels Euro-Rettungspakete hätten die Grünen wie die SPD unterstützt, das Thema Steuererhöhungen sei mit der SPD nicht weniger kompliziert als mit den Grünen. Und die Energiewende sei mit ihnen vermutlich einfacher zu stemmen.
Zudem ziehe auch das Argument nicht, dass es eine schwarz-rote Koalition im Bundesrat viel leichter als eine schwarz-grüne hätte. Denn auch Union und SPD haben keine Mehrheit in der Länderkammer. So würden Vorhaben eine schwarz-roten Bundesregierung alle naselang im Vermittlungsausschuss landen, befürchten CDU-Abgeordnete. Vor allem aber wolle sich die Union nicht von der SPD erpressen lassen, heißt es. SPD-Chef Gabriel solle spüren, dass seine Partei nicht die einzige Möglichkeit für die Union sei, eine Regierung zu bilden.
Aber da ist noch die CSU: Die konservativen Bayern haben nicht nur inhaltliche und kulturelle Probleme mit den Grünen. Es stimmt oft auch einfach menschlich nicht. Parteichef Horst Seehofer bietet mit seiner Aversion gegen den gescheiterten Grünen-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin da öffentlichen Anschauungsunterricht. Und so könnte es nach zähen Wochen mit viel Taktik am Ende doch Schwarz-Rot geben.