Analyse: Eine Stadt feiert sich und ihre Helden
Boston (dpa) - Es ist kurz vor 21.00 Uhr Ortszeit, als am Freitag die erlösende Nachricht kommt: „Die Jagd ist aus. Die Fahndung ist vorüber. Der Terror ist vorbei. Und Gerechtigkeit hat gesiegt. Verdächtiger in Haft“, twittert die Bostoner Polizei.
In Watertown, einem Vorort der Ostküsten-Metropole, war ein Anwohner zufällig in seinem Garten auf den flüchtigen Dschochar Zarnajew gestoßen. Der 19-jährige mutmaßliche Bombenleger hatte sich schwer verletzt in einem Boot versteckt, das hinter dem Haus abgestellt war - die lose im Wind flatternde Abdeckplane verriet ihn.
In Watertown, aber auch im nahen Cambridge und im Zentrum Bostons rannten die Menschen jubelnd auf die Straße: Hupkonzerte, Schreie, Tränen der Freude und der Erleichterung. Viele versammelten sich am Zieleinlauf des berühmten Marathons - dort, wo die Bomben am Montag drei Menschen getötet und 180 verletzt hatten.
Die Polizisten wurden mit Glückwünschen überschüttet. Bürger schüttelten ihnen die Hand, ließen sich mit den Beamten ablichten. „Man muss Vertrauen in die Jungs haben und daran glauben, dass sie einen beschützen“, sagte Feuerwehrmann Stephen Batres. Nun müsse Boston wieder nach vorne schauen.
Erleichtert waren die Menschen auch, weil sie nach stundenlanger Ausgangssperre endlich wieder ihre Häuser verlassen konnten. Der Großeinsatz hatte die Nerven vieler Einwohner strapaziert. „Du schaltest den Fernseher ein und siehst, dass es in den Nachrichten um das hier alles geht“, sagte Michael Kemmer, der im Bostoner Vorort Cambridge - dem Sitz der berühmten Harvard Universität - lebt. „Es ist schon erschreckend, denn Du kennst all diese Orte, von denen sie da sprechen“, ergänzte der Student.
Eleanor Price, eine pensionierte Architektin, war trotz der Anweisungen der Polizei mit einer Freundin im Nieselregen für einen Spaziergang nach draußen gegangen. „Ich habe es nicht mehr ausgehalten, ich brauchte frische Luft.“ Die Ausgangsperre sei völlig überzogen, kritisierte sie. „Die Leute möchten raus, sie möchten zusammen sein und darüber sprechen.“ Doch Price und ihre Bekannte fanden nichts zum Einkehren: Auch Cambridge glich einer Geisterstadt. Restaurants, Cafés und Bars - alles geschlossen.
Besonders auffällig waren auf den Straßen plötzlich die Obdachlosen, die sich vor den wenigen geöffneten Lebensmittelläden versammelt hatten. Einer von ihnen saß mit einem Schild am Harvard Square. „Ich suche Menschenliebe“, stand darauf zu lesen. „Heute Morgen war davon nichts zu spüren“, sagte der 57-Jährige. Stunden später, als alles vorbei war, twitterte die Bostoner Polizei: „Wir bedanken uns für die Liebe und Unterstützung der USA. Gott segne Amerika, Boston ist stark!“