Analyse: Eiskalter Killer mordet in jüdischer Schule

Paris (dpa) - Fassungslosigkeit und ohnmächtige Wut: Vor der jüdischen Ozar Hatorah-Schule in Toulouse versuchen traumatisierte Eltern das Drama zu verstehen, das sich am Morgen zum Unterrichtsbeginn dort abgespielt hat.

„Ich habe zuerst an Böller-Schüsse gedacht. Dann habe ich den Täter gesehen, wie er etwa drei Meter vom Eingangstor um sich schoss“, berichtete ein Augenzeuge am Montag im Fernsehen über die Bluttat, die Frankreich in Atem hält.

Nur wenige Tage nach zwei Anschlägen auf insgesamt vier Soldaten im Großraum Toulouse schlug erneut ein mysteriöser Motorroller-Fahrer zu. Kurz vor acht Uhr stoppte er vor der Schule in der Rue Jules Dalou, begab sich nach Augenzeugen-Berichten in den Schulhof und eröffnete das Feuer.

„Ich habe gesehen, dass er einen Helm auf hat. Er ging dann raus auf den Bürgersteig und hat auf die ihn am nächsten Stehenden geschossen, aus nicht mal einen Meter Entfernung“, berichtete der Augenzeuge dem TV-Nachrichtensender BFM.

Charles Bensemoun, Arzt und Vater eines Schulkindes, war einer der ersten, die den Verletzten zu helfen versuchten. Er stand noch spürbar unter Schock, als er Fernsehjournalisten mit stockender Stimme sichtlich bewegt berichtete: „Nichts deutete auf so ein schreckliches Drama hin, das übersteigt alles Vorstellbare.“

Unter den vier Toten sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft ein Religionslehrer und seine beiden Kinder im Alter von sechs und drei Jahren. „Der Mann ist vom Roller gestiegen und hat auf alle geschossen, die neben ihm standen. Einige Kinder hat er sogar ins Innere verfolgt“, erklärte Staatsanwalt Michel Valet dem BFM-TV.

Die Tat gilt als einer der mörderischsten Anschläge auf eine jüdische Einrichtung seit drei Jahrzehnten, als ein Überfallkommando im jüdischen Viertel in Paris in der Rue des Rosiers in einem Restaurant sechs Menschen tötete.

Die beiden Kinder wurden zunächst nach der Bluttat in einen Gebetssaal gebracht. Neben einem Großaufgebot von Polizisten waren auch Psychologen am Ort des Geschehens. Nicht nur der Staatsanwalt bescheinigt dem Täter ungewöhnliche Kaltblütigkeit und sieht beängstigende Parallelen zu den Soldaten-Morden der vergangenen Tage.

Selbst das Kaliber einer der beiden Tatwaffen, die der Rollerfahrer nutzte, stimmte nach noch unbestätigten Medienberichten überein. Es deutet auf einen Militär-Revolver hin, wie ihn die US-Armee im Zweiten Weltkrieg einsetzte. Das bisher bekannte Profil des Mannes entspricht einem Profi-Killer, der methodisch plant, kaum Spuren hinterlässt und auf offener Straße, am helllichten Tag zuschlägt.

Er wisse, wie man Waffen bedient und sie benutzt, hatte eine Sonntagszeitung einen der Ermittler zitiert: Der Mann schieße, um zu töten - meist mit einem Schuss. Die Spekulationen reichten daher schnell von einem traumatisierten Afghanistan-Soldaten über einen rassistischen Hintergrund bis hin zu einem verrückten Waffennarren, der mit der Armee eine offene Rechnung begleichen wolle.

Selbst der 50. Jahrestag des Evian-Abkommens, welches das Ende des blutigen französischen Kolonialkrieges in Algerien einleitete, wurde als mögliches Motiv in Erwägung gezogen.

Staatschef Nicolas Sarkozy warnte jedoch vor derartigen Spekulationen. Er äußerte sich geschockt und ordnete für Dienstag eine Schweigeminute in den Schulen des Landes an. „Ich kann nicht akzeptieren, dass man Kinder in einer jüdische Schule massakriert, das ist eine Tragödie“, sagte er im französischen Fernsehen, bevor er am Tatort erklärte: „Der Hass, die Grausamkeit darf nicht gewinnen“,

Auch sein sozialistischer Herausforderer im Präsidentschaftswahlkampf, François Hollande, begab sich nach Toulouse. Der Wahlkampf sei vorübergehend ausgesetzt, hatte der Sprecher seiner Partei zuvor erklärt. Die Bluttat dürfte dennoch nicht ohne Auswirkungen auf den Wahlkampf bleiben, in dem Sarkozy verstärkt auf die innere Sicherheit abgestellt hat.